Lindsey Jacobellis schreibt olympische Geschichte
Es war ein breites, mitnehmendes Lächeln, das Lindsey Jacobellis fast bescheiden hinter dem Handschuh ihrer linken Hand zu verbergen versuchte. Kurz zuvor war sie auf ihrem Board in der Hocke ins Ziel gebraust, vor Chloe Trespeuch. Doch während die Französin überschwänglich und schnell mit Landesfahne ausgestattet ihr Silber feierte, saß die Goldmedaillengewinnerin aus den USA im Schnee, entledigte sich dort ihres Boardes, so als ob gar nicht so viel gewesen sei. Später sagte Jacobelllis: „Es war für mich ein unfassbarer Moment, der sich einfach surreal wirkte.“
Lindsey Jacobellis ist die Weltbeste im Snowboardcross, auch mit 36 Jahren noch. Sie ist die einzige Athletin, die seit der olympischen Premiere dieser Disziplin 2006 bei allen Winterspielen startete und sie hatte bis Mittwoch schon alles gewonnen, was es auf den Wellenpisten dieser Welt zu gewinnen gab –bis auf eine olympische Goldmedaille.
Die hatte sie immer wieder verpasst, mit absurden und unglücklichen Auftritten. Um so grandioser ist ist es nun, dass sie ihre eigene Geschichte in Peking umgeschrieben hat. „Es war ein langer Weg mit Höhen und Tiefen und Verletzungen“, sagte sie nach dem Triumph.
Geschmack und Style spielen eine Rolle beim Snowboarden
Snowboardcross ist Liebe, Zirkus, Artistik. Die Hauptdarsteller:innen mögen es bunt, lange wehende Haare und geflochtene Zöpfchen gehören dazu. Ein DJ Ötzi – wie etwa noch vor vier Jahren bei der Nordischen Kombination in Pyeongchang – trällert beim Snowboard-Cross nicht durch die Lautsprecher. Geschmack und Style spielen eine Rolle beim Snowboarden.
Der Rest, vom Skifahren bis zum Langlauf, ist da Oldschool. Shaun White, Snowboard-Guru in der Halfpipe, der sich am Mittwoch für das Finale am Freitag qualifiziert hat, und Lindsey Jacobellis sind für die Wintersport begeistere Jugend in der Welt eben cooler als mancher Biathlet. Oldschooler bemängeln allerdings, dass die Show beim Snowboardcross eine zu große Rolle spielt. Und normalerweise ist eben auch viel Tamtam dabei – bei den Fans im Zuschauerbereich, aber das war bei diesen sterilen Spielen in Peking nicht zu erwarten.
Die Frau aus Connecticut ist der Star der Szene und dessen war sich Lindsey Jacobellis anfangs ihrer Karriere auch mal zu sehr bewusst. Snowboardcross ist eben kein Langlauf, eine Sportart näher an der Show als andere und mit der Show übertrieb sie es 2006 in Turin. Sie verdaddelte mit einer Showeinlage im schon gefühlten Rausch der Siegerin ihr Gold. Sie hatte einen Riesenvorsprung, beim letzten Sprung verschenkte sie ihn mit einem „Grab“: Sie stürzte beim Griff an das Brett und holte nur Silber.
2010 und 2014 scheiterte sie bei den Spielen in Vancouver und Sotschi jeweils im Halbfinale. Und im Phoenix Snow Park von Pyeongchang 2018 wurde Lindsey Jacobellis Vierte, 0,03 Sekunden fehlten auf Platz drei. Die Heldin war wieder gefallen.
Dabei hatte sie alles ausgereizt – bis hin zur mentaler Betreuung durch einen prominenten Coach. Vor den Spielen in China ist sie anscheinend besser mit dem Druck umgegangen. Sie habe sich schon als Siegerin gefühlt als ihr Finaleinzug festgestanden habe, sagte sie am Mittwoch.
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Im Snowboard gibt es sie nun auch – die großen olympischen Geschichten. Daran war vor 24 Jahren nicht zu denken, bei der olympischen Premiere (noch ohne Snowboardcross) wirkte es beim bunten Völkchen mit den Brettern so, als sei nur der Style wichtig. Damals in Nagano war der Irokesenschnitt bei den Athlet:innen noch beliebt, Kritiker:innen monierten, da hätten sich wohl ein paar Freunde oder Freundinnen rauchbarer Drogen in der Halfpipe verirrt.
Aber die Zeiten sind lange vorbei. Die Sportart ist groß geworden, auch mit der Sparte Snowboardcross ist Olympia gewachsen. Und die Größte hat nach 16 Jahren nun auch die Medaille bekommen, die sie verdient hat. „Worte können nicht beschreiben, was ich gerade fühle“, sagte Lindsey Jacobellis nach der Erlösung in Zhangjiakou.