Ausstellung von Beth B : Now Wave statt No Future
Das mit dem Abstieg darf man im Weddinger Kulturquartier Silent Green wörtlich verstehen. Der Gang über die fünfzig Meter lange Rampe, die in die unterirdische Betonhalle des ehemaligen Krematoriums führt, fühlt sich wie ein Übergangsritus an, eingehüllt in sphärische Drones. Video-Projektionen von schwarzen Vögeln begleiten einen auf dem Weg hinab. Am Ende schillert blau ein Pool mit Wasser.
Die Metaphorik ist leicht verständlich, aber sie verfehlt in dieser Architektur ihre emotionale Wirkung nicht. Der „Tunnel“, so der Titel der Installation, führt in einen Raum, in dem gesellschaftliche Tabus, unartikulierte Träume und verdrängte Gewalterfahrungen adressiert werden.
Beim Gang hinunter in die gewaltige Halle erzählt Beth B von ihrer Begeisterung, als sie diesen Ort zum ersten Mal sah, an dem sie ab dem 15. August ihre Ausstellung „Now Wave: Beth B – Glowing“ zeigt. „Es fühlte sich an, als würde ich nach Hause kommen“, lacht sie. Die Themen Tod und Grenzerfahrungen durchziehen das Werk der 1955 in New York geborenen und in Kalifornien aufgewachsenen Künstlerin, die Anfang der 1980er Jahre eine der zentralen Figuren im Underground der Lower East Side war.
Der Film „Vortex“ mit ihrem damaligen Partner Scott B, ein selbstfinanzierter, schmutziger Paranoia-Thriller um die Detektivin Angel Powers (gespielt von Punk-Ikone Lydia Lunch), gilt als das nihilistische Manifest dieser kleinen, einflussreichen Szene. Sie wurde zum Sammelbecken im Kunstbetrieb peripherer Kreativer wie die Filmemacher Jim Jarmusch und Amos Poe, der Künstler Robert Longo, Bands wie Teenage Jesus and the Jerks, James Chance and the Contortions und die späteren Indiestars von Sonic Youth.
Die Bezeichnung No Wave war zunächst nur eine ironische Aneignung, aber der Slogan traf einen Nerv. Im vergangenen Jahr widmete das Pariser Centre Pompidou der kurzlebigen Bewegung eine Ausstellung.
Beth B verkörpert New York
Dieses Nein war lange auch der kategorische Imperativ von Beth B. Als 19-jährige Kunststudentin, frisch von der Westküste nach New York zurückgekehrt, wehrte sie sich mit Händen und Füßen gegen die gesellschaftlichen Konventionen, die das Post-Vietnam-Amerika ihrer Generation bot. „Die verwahrloste Landschaft der Stadt entsprach meiner inneren Landschaft“, erinnert sie sich jetzt in Berlin.
An einem heißen Augustmorgen im Garten des Silent Green erscheint das alles Lichtjahre weit entfernt, obwohl Spuren dieser Zeit noch in „Now Wave: Beth B – Glowing“ enthalten sind. Allerdings – so müsste man wohl sagen – ex positivo. Beth vergleicht ihre Ausstellung mit einer großen Umarmung, worin sie den Journalisten gegenüber gleich mal miteinschließt.
Sie versprüht diese typische New-York-Energie: Man darf niemals stillstehen, sonst überrollt einen diese Stadt. Beth B verkörpert New York. Ihre früher bunte Wave-Frisur trägt sie inzwischen grau und kurz – womit sie äußerlich ein wenig an ihre im vergangenen Jahr verstorbene Mutter, die Bildhauerin Ida Applebroog, erinnert.
Nun sind die Konzepte Achtsamkeit und Safe Spaces im zeitgenössischen Kunstbetrieb inzwischen allgegenwärtig – und fast schon zum Klischee geworden. Während der Kunstmarkt metastasiert, findet das Publikum in Museen und Galerien Schutz vor den Zumutungen des Kapitalismus. Mit „Now Wave“ leitet Beth B das Prinzip Selbstheilung aber aus der eigenen Biografie ab.
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„Früher haben wir geschrien, so laut wie wir konnten“, erzählt sie. Es sei eine Art Überlebensinstinkt gewesen. „Aber natürlich hört niemand zu, wenn man ständig angeschrien wird. Also lernte ich, die Menschen zu verführen, damit sie mir zuhören. Als Gemeinschaft haben wir die Fähigkeit, ein Gefühl von Wärme und Zärtlichkeit zu den Menschen zu bringen, die darunter leiden – inklusive uns selbst.“
Natürlich hört niemand zu, wenn man ständig angeschrien wird. Also lernte ich, die Menschen zu verführen, damit sie mir zuhören.
Beth B, Filmemacherin
Die Verbindung von New York und Berlin Anfang der 1980er Jahre liegt auf der Hand. Beide standen damals im Ruf von failed cities, jedoch mit einer umtriebigen Underground-Kultur, in der die Grenzen von Film, Musik und Performance verschwammen. Im East Village wurden Live-Clubs wie Artists Space, Mudd Club und Max’s Kansas City zur Heimat der Versprengten und Außenseiter. Beth B: „Kein Kino wollte damals meine Filme zeigen. Und die Kunstszene war überhaupt nicht mein Ding, viel zu steril. Wir mussten also Alternativen finden.“
Beth verweigert sich der Arbeit mit Institutionen bis heute. Nur ihre Werkschau im New Yorker MoMA vor zwei Jahren war wohl unvermeidlich für eine Künstlerin, die die Stadt wie sie geprägt hat. Und an ihre Zeit beim Fernsehen in den 1990er Jahren denkt sie nur widerwillig zurück. Auch darum freut sie sich über Einladung des Silent Green, die Räumlichkeiten mit seiner „Geschichte des Todes“ (Beth B) zu beleben.
Zentrales Werk ist die in diesem Jahr entstandene Drei-Kanal-Installation „Glowing“, ein riesiges Video-Triptychon am Ende der Betonhalle. Die sechs Filme entstanden in Zusammenarbeit mit befreundeten Künstler:innen. Der amerikanische Schriftsteller Nick Flynn, die Sängerin Little Annie sowie Tänzer:in und Ableismus-Aktivisti:in No Anger setzen sich darin unter anderem mit ihrem Verhältnis zu Schmerz, Sucht und Ausgrenzung auseinander.
Keine moralische Verurteilung
Die schiere Größe der Installation erzielt einen immersiven emotionalen Effekt, es entsteht ein Raum, in dem die intimen Gedanken und Gefühle auf der Leinwand Resonanz finden. Erweitert wird dieser während der zehntägigen Ausstellung mit Live-Performances der Protagonist:innen.
Für Beth B sind Kooperationen wie diese in ihrem Leben immer wichtiger geworden. Seit inzwischen 29 Jahren arbeitet sie mit dem Musiker Jim Coleman, dessen Noise-Band Cop Shoot Cop aus der zweiten No-Wave-Generation stammt; gelegentlich unterstützt sie ihre gemeinsame Tochter Lola, die während des Gesprächs auch kurz vorbeischaut.
Ihre Stimme ist – aufgenommen im Alter von sechs Jahren – in der Installation „Children of Wonder“ zu hören. Darin spricht sie über den Tod, wie es nur Kinder können. Die Destruktivität ihrer jungen Jahre hat Beth B längst hinter sich gelassen, daher der Titel. „Ich will kein ‚No‘ mehr sein, ich bin ‚Now‘.“ Sie lacht.
Ihre Rolle in „Now Wave“ versteht sie eher als die einer Kuratorin, die eigene Biografie ist nur eine Facette von vielen. „Ich lade die Menschen ein, ihre Geschichten zu erzählen, die Dunkelheit, ohne Angst vor Verurteilung. In den Massenmedien werden wir ihre Geschichten nie hören – sie würden diesen Schmerz beschönigen und ihn instagramable machen.“
Mit preisgekrönten Dokumentarfilmen wie „Stigmata“ (1991) und „Exposed“ (2013), dem Porträt der lebendigen New Yorker Burlesque-Szene und nun der Ausstellung „Now Wave“ hat Beth B eine Gemeinschaft um sich versammelt, die in ihrer Verletzlichkeit an die „Wahlfamilie“ von Nan Goldin erinnert.
Das Zuhören, das Interesse an gesellschaftlich marginalisierten Geschichten ist in Zeiten wachsender Polarisierung zunehmend zu einem politischen Akt geworden. Beth B lädt den reichlich überstrapazierten Allgemeinplatz vom Privaten, das politisch ist, mit einer empathischen Idee von Teilhabe auf. Man fühlt sich in ihrer Kunst im wahrsten Sinne des Wortes in bester Gesellschaft.