Hertha BSC verliert 1:2 gegen Wolfsburg
Auf der Anzeigetafel wurden die Sekunden heruntergezählt. Es waren nur noch einige wenige bis 15.30 Uhr und damit bis zum ersten Spiel im Olympiastadion mit Zuschauerbegleitung nach 309 Tagen. Doch von Vorfreude keine Spur. Die Fans von Hertha BSC pfiffen. Sie pfiffen, weil statt Frank Zander andere, ungewohnte Klänge aus den Stadionboxen kamen. Ein Missverständnis. Kurz darauf ertönte „Nur nach Hause”, die übliche Einlaufmelodie bei Herthas Spielen, und so löste sich alles in Wohlgefallen auf.
Für Hertha insgesamt lässt sich das nicht behaupten. Im Gegenteil. Nach der Auftaktniederlage in Köln verlor der Berliner Fußball-Bundesligist auch gleich noch das zweite Saisonspiel – erneut nach eigener Führung. 1:2 (0:0) hieß es nach dem Auftritt gegen den VfL Wolfsburg, bei dem Hertha erneut viele Mängel offenbarte. Und so reisen die Berliner nächste Woche als Tabellenletzter zum FC Bayern München. Achtzehnter war Hertha zuletzt im September 2019, nach einer 1:2- Niederlage bei Mainz 05. „Die Tabelle sieht nicht gut aus“, sagte Trainer Pal Dardai. „Das ist schon schmerzhaft.“
Trainer Pal Dardai hatte seine Mannschaft ordentlich umgebaut. Vier neue Spieler – Dedryck Boyata, Dodi Lukebakio, Javairo Dilrosun und Davie Selke – standen in der Startelf. Sie ersetzten Marton Dardai, Lucas Tousart, Stevan Jovetic und vor allem Matheus Cunha, der nicht einmal im Kader stand, was die Spekulationen über einen möglichen Weggang aus Berlin noch einmal befeuerte.
Sportgeschäftsführer Fredi Bobic erklärte vor dem Anpfiff im Interview mit Sky, dass sich Hertha mit einem interessierten Klub in Verhandlungen befinde, man Cunha aber nicht unter Marktwert abgeben werde. 30 Millionen Euro sollen die Berliner für den Brasilianer erwarten. Doch seine Nichtnominierung hatte vor allem disziplinarische Gründe. „Bei meiner Mannschaft spaziert kein Mensch mehr“, sagte Dardai mit Blick auf Cunhas lustlosen Auftritt vor einer Woche in Köln. „Was letztes Jahr war, akzeptiere ich nicht mehr, bei keinem Menschen. Egal wie er heißt.“
Hertha tat sich schwer mit der Spielgestaltung
Ohne Cunha begann Hertha mit viel Eifer. „Heute ist keiner spaziert, alle haben gearbeitet“, sagte Dardai. „Das ist für uns ein richtiger Fortschritt.“ Gegen den Ball wurde aus dem 4-2-3-1 der Berliner ein 4-4-2 mit Selke und Boateng als ersten Anläufern.
Beim Warmlaufen vor dem Spiel war Rückkehrer Boateng mit Sprechchören gefeiert worden. Anders als vor einer Woche in Köln spielte er bei seinem Comeback im Olympiastadion nicht auf der Sechs, sondern als Zehner vor Suat Serdar und Santiago Ascacibar. Sein Einfluss auf Herthas Spiel aber blieb überschaubar – zumal der 34-Jährige schon wenige Minuten vor der Pause angeschlagen vom Feld musste. Für ihn kam Stevan Jovetic.
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Überhaupt tat sich Hertha schwer mit der Spielgestaltung. Den Ball hatten zumeist die Wolfsburger, und die einzige Gelegenheit der Berliner in der ersten Hälfte folgte auf einen Einwurf in den Wolfsburger Strafraum. Nach Selkes Kopfball musste Torhüter Koen Casteels in der vierten Minute erst- und auch letztmals vor der Pause eingreifen. Die Stimmung auf den Rängen, anfangs durchaus erwartungsfroh bis euphorisch, ebbte immer weiter ab. In den Minuten vor der Pause war es im weiten Rund schon wieder fast gespenstisch ruhig.
Das lag natürlich auch am Geschehen auf dem Rasen, das über weite Strecken wenig Mitreißendes hatten. Zudem waren es die Gäste, die in der ersten Hälfte zu den besseren Chancen kamen, auch wenn es ebenfalls nicht besonders viele waren. Wolfsburgs Innenverteidiger Maxence Lacroix verfehlte mit einem Kopfball nach einer Freistoßflanke nur knapp das Berliner Tor; Wout Weghorst zwang Herthas Torhüter Alexander Schwolow – ebenfalls nach einer Flanke und ebenfalls per Kopf – zu einer spektakulären Flugeinlage.
Profaner Einwurf
Gemessen an der getragenen Darbietung vor der Pause überschlugen sich die Ereignisse zu Beginn der zweiten Hälfte regelrecht. Weghorst verfehlte nach einer flachen Hereingabe von links das Tor, auf der anderen Seite rettete Casteels mit einem starken Reflex gegen Jovetic, der den Ball an der Strafraumgrenze aus der Luft angenommen und dann volley abgezogen hatte.
Insgesamt wirkte Hertha nun wieder griffiger, und nach einer guten Stunde wurde das größere Engagement belohnt. Nachdem sich Lukebakio am Eingang des Strafraums am Fuß von John Anthony Brooks verhakt hatte, ließ Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck zunächst weiterspielen. Nach Intervention aus Köln und Ansicht der TV-Bilder entschied er doch noch auf Elfmeter.
Lukebakio und Selke stritten sich um die Ausführung, so sehr und so heftig, dass sogar Kapitän Boyata schlichtend eingreifen musste. „Da ist jeder Trainer glücklich“, sagte Dardai. Besser so, als wenn sich alle verstecken. Schließlich war es Lukebakio, der antrat und sicher zum 1:0 für Hertha verwandelte.
Die Stimmung bei den 18.241 Besuchern im Stadion war nun wieder bestens – aber nicht besonders lange. Weil Hertha den Vorteil, wie schon in Köln, allzu leichtfertig wieder aus der Hand gab. Nach einem steilen Pass in die Spitze, den Xaver Schlager nahezu unbedrängt aus dem Mittelkreis spielen konnte, traf Ridle Baku zum 1:1. Es war nicht das einzige Mal, dass Hertha nicht gut aussah, wenn die Wolfsburger sich schnell und direkt in die Spitze kombinierten.
Aber das einzige Mal, dass es bestraft wurde. Bis Lukas Nmecha zwei Minuten vor dem Ende doch noch traf. Aber nicht nach einer anspruchsvollen Kombination, sondern nach einem profanen Einwurf.