Klingende Glitzerfarbenpracht

Als Teenager auf die eigene Mutter zu hören, ist zwar eher unpopulär, kann aber eine gute Sache sein. Zum Beispiel, wenn die Mama Konzerttickets organisiert und zu ihrer Tochter sagt: „Das ist eine unglaublich gute Künstlerin, die musst du dir anhören.“

Also geht die 16-jährige Adi Amati an einem Abend Anfang der nuller Jahre zusammen mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder in die Kieler Halle 400 zum Konzert von Joy Denalane, die gerade ihr Debütalbum „Mamani“ veröffentlicht hat. Hochschwanger steht die Berliner Sängerin auf der Bühne und reißt die Menge mit.

Eine Spontan-Session in Accra führte zum Debütalbum

„Wir waren total begeistert, es war so ein schönes Erlebnis“, erinnert sich Adi Amati im Videogespräch. Die gebürtige Kielerin ist heute 34 und lebt seit drei Monaten in der ghanaischen Hauptstadt Accra. Ihre Augen leuchten, als sie beschreibt, wie bestärkend es für sie war, eine Frau mit der gleichen Hautfarbe dabei zu erleben, wie sie eine ganze Arena unterhält. „Damals war dann auch besiegelt, dass ich Deutsch singen will.“

Und während sich auf Joy Denalanes letzter Platte – einer Hommage an den Motown-Soul – ausschließlich englische Texte befinden, ist Adi Amati bei der Sprache geblieben, in der sie sich am besten ausdrücken kann. Das hört sich etwa im Refrain ihres Song „Die Uhr läuft“ dann so an: „Wir sind soweit/ Es beginnt unser Hype/ Wir schreiben an unseren Zeilen/ Basteln an unseren Beats/ Wir heben diesen Lebensstein/ Bau’n unser eigen Heim/ Aus braunem Laub und Staub“.

Begleitet von einem sanften Bass, hüpfenden Synthie- und Percussionakzenten sowie einer eleganten Geige verbreitet das Stück Aufbruchstimmung und gute Laune. Dasselbe gilt auch für die anderen Songs auf Amatis Album „Wiedergeburt“, von denen sie einige auf dem Festival 21 Sunsets auf der HKW-Dachterrasse spielen wird.

[Konzert: Haus der Kulturen der Welt, 23.7., 20 Uhr, außerdem treten Batila und Freak de l’Afrique Soundsystem mit DJ Nomi & Ukai auf.]

Der positive Vibe der 2019 veröffentlichten Platte ist mitnichten das Resultat einer Glückssträhne in Adi Amatis Leben – im Gegenteil. Vor fünf Jahren starb ihr Vater, den sie in seine Heimat Ghana überführte und dort beerdigen ließ. Um ihrer Traurigkeit etwas entgegenzusetzen, suchte sich Adi Amati mit Hilfe ihrer Cousine einen Produzenten.

In seinem Studio in einem Vorort von Accra spielte er Amati einen Highlife-Track vor, lud noch den Sänger Abochi dazu  und im Nu entstand „Odo Na Ehia (Love Matters)“, ein sonniges Liebeslied mit Sommerhit-Qualität. Weil dessen Refrain in der ghanaischen Sprache Twi gehalten ist, wurde der Song auch in Ghana gefeiert, Amati zu Interviews und Auftritten eingeladen.

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Nach dieser Spontan-Session entstanden noch zwei weitere Songs – und die Idee ein ganzes Album mit lokalen Musiker*innen aufzunehmen. Später gab es neben den Sessions in Accra noch Studioarbeiten in Berlin, wobei Adi Amati ausschließlich mit Schwarzen Menschen zusammenarbeitete.

Das war ihr wichtig, weil sie in ihren R’n’B-Pop diverse Afrobeat-Elemente mischte und „nichts enteignen“ wollte. „Es wird immer so viel genommen, ohne die Menschen, die das eigentlich machen, daran zu beteiligen.“ Bei den Aufnahmen in Berlin waren deshalb Musiker*innen und Produzenten aus der Diaspora dabei, etwa der senegalesische Percussionist Ndiaga Diop, dessen Talking- Drum-Solo „Gebet“ das Album eröffnet.

Black Music ist der Soundtrack von Adi Amatis Kindheit. Weil ihre Eltern – die Mutter ist Italienerin – die erste Jazzkneipe in Kiel betreiben, ist sie früh von Musiker*innen umgeben, hat mit fünf Jahren schon in drei Videos mitgemacht. Ihr Vater sammelt und hört leidenschaftlich gern Platten, mit denen er Mixtapes für die Kneipe zusammenstellt.

Die ersten eigenen Songs schreibt sie mit zwölf

Eine ihrer prägenden Erinnerung an ihn ist, wie er morgens mit Kopfhörern in seiner Musikecke steht und die ganze Zeit fantastischer Jazz, Funk und Soul läuft. Mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder Nelson fängt Adi Amati an selber zu singen und zu rappen. Mit zwölf schreibt sie ihre ersten Songs, mit 13 steht sie zum ersten Mal in einem Studio.

„Mit 14 habe ich bei einem relativ großen Produzenten dann auch gleich die ersten Sexismuserfahrungen gemacht“, erinnert sich Amati. „Er sagte: ,Ich feiere deine Musik, aber deinen Style müssen wir komplett ändern.’“

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Damit war unter anderem gemeint, dass sie statt ihrer weiten Hip-Hop-Outfits knappe Kleidung tragen sollte. Der Produzent wollte ein Video drehen, in dem sie im Bikini über einen Strand hüpft. Amati weigerte sich, beendete die Zusammenarbeit – und begriff, dass ihr Weg kein leichter sein wird.

Über Hamburg führt er sie schließlich nach Berlin, wo sie drei Jahre lang bei Radiokind singt, einer achtköpfigen Big Band, die Soul-Funk mit deutschen Texten spielt. 2017 ist es dann Zeit für das Debüt unter eigenem Namen: Auf der EP „Weltenkind“ bewegt sie sich in sieben Song gekonnt zwischen Soul, Rap und Pop.

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Der Sound ist noch nicht so ausgefeilt und vielfältig wie dann zwei Jahre später bei „Wiedergeburt“, auf dem Adi Amati zwei Texte des Vorgängers nochmal neu vertont. Vor allem „Glitzerfarbenpracht“ das jetzt nur noch „Farbenpracht“ heißt, dafür aber eine Minute länger ist, hat von der Neubearbeitung profitiert.

Der Retro-Beat von der Stange wurde von einem Reggaeton-Puls abgelöst, die aufdringliche Synthie-Harmonie von einem charmanteren Keyboard ersetzt. Was insgesamt viel besser zu dieser Feier der Natur passt, in der Amati singt: „Die Welt so schön, voller Glitzerfarbenpracht/ Ob blau gelb grün, ja sie strahlt sie lacht/ Sie spendet Luft, Wasser, Feuer und Erde“.

Auf der neuen Version ist als Gast die Rapperin Meli zu hören. Sie ist Adi Amatis Frau und lebt in Berlin. Die beiden haben jetzt erstmal eine Fernbeziehung. Doch Amati wollte mit ihrem schon länger gehegten Plan nach Ghana zu ziehen, nicht mehr warten.

Seit ihrem Umzug fällt endlich der Alltagsrassismus weg

Das pandemiebedingte Nachdenken über die Zukunft habe dazu beigetragen, den Schritt zu machen, sagt die Sängerin. Sie ist glücklich mit der Entscheidung und lebt in Accra viel entspannter als in Deutschland, denn endlich fällt der Alltagsrassimsus weg: „Beim Arzt, bei der Bank oder einer Behörde werde ich freundlich empfangen. Das kenne ich so nicht. Ich habe hier ein ganz normales Leben, wie es weiße Menschen in der westlichen Welt erleben.“

Und wie sieht sie die Antirassismusdebatte, die im vergangenen Jahr im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste in den USA auch in Deutschland stattfand? Endlich habe es mal eine Debatte gegeben, sagt Adi Amati. Das sei überfällig gewesen. „Wir müssen uns eingestehen, dass wir auch in Deutschland ein strukturelles Rassismusproblem haben. Es wurde durch George Floyd immer stark nach Amerika geschaut, aber es passiert ja auch hier.“

Dass weiße Deutsche das teilweise anzweifelten, hat sie irritiert. Sie habe viele aufwühlende Diskussionen geführt, manche Leute in ihrer Umgebung haben sie regelrecht schockiert mit ihren Meinungen.

Früher hat Adi Amati ihre Rassismuserfahrungen und ihre Wut auch in Songs verarbeitet. So handelte ihr allererster Text davon, wie sie in einem Laden als kriminell verdächtigt und verfolgt wird. Doch heute sagt sie: „Ich habe gemerkt, dass mir das zu viel Kraft raubt. Kraft, die ich brauche, um liebevoll zu anderen zu sein.“ Gute Entscheidung, denn schließlich sind jetzt mal die Weißen dran, sich dem Thema zu stellen. Und Adi Amati kann ihre Energie in positive Songs stecken.