Alles, was er malte, hatte Augen

Ganze Generationen von Leser:innen sind mit diesem Namen aufgewachsen: Piatti. Seine Signatur stand unter den Cover-Illustrationen vieler Bücher, nicht wenige davon Klassiker: vom devoten Spießbürger, der tief gebückt vor Kaiser Wilhelm II. den Hut lupft (Heinrich Mann: „Untertan“) über die Silhouette einer jungen Frau am Zugfenster (Irmgard Keun: „D-Zug dritter Klasse“) bis zu einer aus Schlagzeilen, Börsenkursen und Pressefotos zusammengesetzten Metropolen-Collage im Stil der Bauhaus-Avantgarde (Alfred Döblin: „Berlin Alexanderplatz“).

Celestino Piatti hat jahrzehntelang die Bücher des Deutschen Taschenbuch Verlags (dtv) gestaltet, angefangen mit dem allerersten Band (das „Irische Tagebuch“ von Heinrich Böll) bis Mitte der Neunzigerjahre. Neben Willy Fleckhaus, dem Erfinder der Suhrkamp-Regenbogenfarben, prägte kein anderer Designer das Erscheinungsbild der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit ähnlich nachhaltig wie der Schweizer Designer. Piattis kraftvolle, stets aus einem weißen Hintergrund hervortretende Bilder schmücken rund 6300 dtv-Bände, und er behauptete alle gelesen zu haben.

Das N im “ABC der Tiere” ein Nashorn.Foto: NordSüd Verlag

Aber Piatti, der 1922 in der Nähe von Zürich geboren wurde und 2007 im Kanton Basel starb, war auch ein erfolgreicher Gestalter von Bilderbüchern. Daran erinnert das prachtvolle Coffee-Table-Book „Piatti für Kinder“, das zu seinem 100. Geburtstag sämtliche Illustrationen versammelt, die der Künstler zwischen 1963 und 1976 für sieben Kinderbücher schuf. Sie erschienen in zwölf Sprachen und und erreichten eine Auflage von mehr als 600 000 Exemplaren.

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„Alles, was ich male, hat Augen“, sagte Piatti. Am meisten faszinierte ihn die Eule, das als weise geltende Augen-Tier, dem er mit seinem ersten Bestseller „Eulenglück“ ein Denkmal setzte. Mit warmrot leuchtenden Augen, den für ihn typischen breiten Konturen und hingetupften Federn hat Piatti die Vögel gemalt, als Könige der Nacht, die in der Geschichte von Enten, Pfau und Gänsen für ihre Harmonie bewundert werden. Auch in den Fabeln „Der kleine Krebs“ und „Der goldene Apfel“ flattern Eulen durchs Bild, und in der hinreißend aquarellierten Geschichte „Barbara und der Siebenschläfer“ hängt ein Eulen-Poster über dem Bett der siebenjährigen Heldin.

Das A im “ABC der Tiere” ein Alligator.Foto: NordSüd Verlag

Piatti war ein Meister der Reduktion. Er wollte „immer neu gestalten, um näher an das Geheimnis der Schöpfung heranzukommen – um es doch nie voll ergründen zu können“. Seine Tier-Darstellungen folgen präziser Naturbeobachtung und sind zugleich kunstvoll stilisiert. Piattis „ABC der Tiere“ ist ein fröhliches Bestiarium, zu dem der Autor Hans Schumacher Reime beisteuerte.

[Celestino Piatti: Piatti für Kinder. NordSüd Verlag, Zürich 2021. 216 Seiten, 30 €]

Beim Buchstaben „E“ wedelt ein Elefant mit dem Rüssel, während am unteren Bildrand schon ein Frosch aufs „F“ gestiegen ist. Doch den überraschendsten Auftritt gibt es, wenn unter X ein Mischwesen namens Xopiatti erscheint, auch Vogelfischgepard genannt. Ohne Zweifel ist es – so lauten die Verse – „schier so etwas wie ein Wundertier“. Christian Schröder