Lehrmeisterinnen der Macht
Der Gegenwind, dem sich Frauen aussetzen, die hierzulande nach der Macht greifen, kann eisig sein. Annalena Baerbock macht die Erfahrung gerade. Angela Merkel hat sie hinter sich, als sie, noch als „Kohls Mädchen“ abqualifiziert, von ihrem Amtsvorgänger bescheinigt bekam, „die kann das nicht“. Das ist nicht nur Stammtischgehabe, es folgt einer langen kulturgeschichtlichen Tradition. Wie lange, dafür gibt die Journalistin und ehemalige Rom-Korrespondentin der „Zeit“ Birgit Schönau ein besonderes Beispiel.
Schönau erzählt in „Neros Mütter“ die Geschichte einer Frauendynastie im antiken Rom, die über 100 Jahre lang versuchte, ihren Anspruch auf Teilhabe an der Macht zu verwirklichen. Ein Versuch, den ihre Protagonistinnen mit Freiheit und Leben bezahlten. Ihr Ruf wurde drüber bereits von den Zeitgenossen derart diskreditiert, dass sie in der Überlieferung bis heute zu negativen Role Models wurden.
[Birgit Schönau: Neros Mütter. Drei Frauenleben im Alten Rom. Berenberg Verlag, Berlin, 2021. 343 Seiten, 25 €.]
Die Rede ist von Tochter, Enkelin und Urenkelin des Augustus, dem ersten römischen Kaiser, der sein Imperium zu einer Macht erhob, die über Jahrhunderte die Geschicke Europas und seiner Kultur bestimmte. Ehrgeiz, der in Machtgier umschlägt, gehört dabei noch zu den harmloseren Vorwürfen, mit denen sich Julia und nach ihr die ältere und die jüngere Agrippina auseinandersetzen mussten.
Ränkespiel mit Gift
Auch das Mittel des Giftmordes, das ihnen mitunter nachgesagt wird, war nicht ungewöhnlich in den politischen Ränken des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Richtig gefährlich vor allem für Frauen aber wurde es, wenn ihre sexuellen Gewohnheiten thematisiert, ihnen eine allzu aktive Rolle zugesprochen wurde. Denn der Weg vom Ruf- zum Justizmord war kurz.
Die drei genannten gehörten dem von Augustus begründeten julisch-claudischen Clan an, einem Bündnis der beiden mächtigsten Familien, die nach dem Ende des Bürgerkriegs und der römischen Republik für nahezu 100 Jahre die Geschicke des Reiches bestimmten. Die ökonomische Eigenständigkeit der führenden Frauen, ihre Bereitschaft, sich offensiv in politische, sogar militärische Entscheidungen einzumischen, war nicht nur für das alte Rom beispiellos, wie Birgit Schönau ausführt. Die Kaiserfrauen seien in vielerlei Hinsicht auch emanzipierter gewesen als die meisten ihrer mittelalterlichen Nachfolgerinnen.
Dabei war das von ihnen erwartete Rollenbild zutiefst konservativ. Der Mann bestimmte über das Leben der römischen Frau, Mutterschaft und Keuschheit waren das Ideal. Doch war das vielleicht ein männliches Wunschbild. Wie sah die gelebte Praxis aus? Immerhin gibt es mehr als genug Hinweise, dass zumindest römische Frauen der Oberschicht nicht nur Lesen und Schreiben konnten, sondern auch klug über philosophische Fragen plaudern.
Für die Mittelschicht steht etwa das Bildnis des Bäckers Terentius in Pompeji. Er ist es, der die Schriftrolle hält, die Frau an seiner Seite aber hat die Tafel für Notizen und den Stift in der Hand. Und in der Unterschicht war die Frau ohne Frage berufstätig. Was nun die Keuschheit als Ideal angeht, so fehlt es nicht an Belegen, dass die Ausschweifung die Phantasie der Römer viel mehr beschäftigte.
Historiker mit Hang zur Kolportage
Es ist auch nicht so, dass Birgit Schönaus Protagonistinnen nichts Schriftliches hinterlassen hätten, nur sind ihre Werke nicht erhalten. Dafür sprechen die Männer: Tacitus und Cassius Dio oder die Dichter Martial und Juvenal. Dafür spricht vor allem Sueton, den Birgit Schönau mit seinem Hang zur Kolportage den Journalisten unter den Geschichtsschreibern nennt.
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Frauen, die befehlen, waren den Chronisten zu fast allen Zeiten ein Graus. Sie haben am Ende aus Julia das Partygirl gemacht, haben Agrippina als Giftmischerin überliefert, die ihr missratenes Früchtchen Nero an die Macht bringen will. Mögen ihre männlichen Widerparts, mögen Tiberius, Caligula, Claudius oder Nero noch so unfähig, brutal oder absonderlich sein – Julia und die beiden Agrippinas sind es, die von ihren Vätern, Männern, Söhnen verstoßen und auf einsame Inseln verbannt, gar ermordet wurden. Birgit Schönau erzählt das alles nicht ohne Süffisanz, freilich nach oft dürftiger Quellenlage.
Da ist viel Spielraum für Interpretationem, ein gefährliches Terrain, wie die Autorin selbst einräumt. Doch das mit der Quellenlage gilt nicht minder für die seit Jahrhunderten männlich dominierte Geschichtsschreibung. Es hat sie von keinem Urteil abgehalten. Und noch ein Problem gibt es: Schönaus Leser:innen laufen Gefahr, sich im Dickicht römischer Namensgebung und unübersichtlicher Verwandtschaftsbeziehungen zu verlieren. Doch wer sich darin orientiert, für den ist die Lektüre ein Gewinn.