„Ich wollte nie grau sein, sondern immer bunt“
Bennet Wiegert, 40, begann seine Handball-Karriere schon als Jugendspieler beim SC Magdeburg und wurde als Profi auch deutscher Handballmeister, zudem spielte er in der deutschen Nationalmannschaft. Seit 2015 ist er Trainer in seiner Heimatstadt.
Herr Wiegert, Sie sind am vergangenen Donnerstag mit dem SC Magdeburg vorzeitig Meister geworden. Haben Sie das schon richtig realisieren können?
Es kommt langsam. Ich musste zunächst in Ruhe die ganzen Eindrücke verarbeiten. Direkt nach dem Abpfiff war viel in mir los, da habe ich einiges gar nicht mitbekommen. Das sehe ich jetzt erst, wenn ich mir die Videoschnipsel ansehe, die im Netz kursieren. Da sitze ich manchmal auf der Coach und verdrücke die eine oder andere Träne.
Magdeburg ist dafür bekannt, eine handballverrückte Stadt zu sein. Wie haben Sie die Stimmung bisher erlebt.
Ich muss gestehen, dass ich mich zurückgehalten habe, durch die Straßen zu gehen. Ich wollte das erst einmal mit mir ausmachen und habe da den Ausflug zum Reiterhof mit meiner Familie dem Stadtfest vorgezogen. Aber man hat ja direkt nach dem Spiel gemerkt, wie gefeiert wurde. Wieviel Erleichterung bei allen da war, als nach 21 Jahren feststand, dass wir wieder deutscher Meister sind.
Sie waren bereits vor 21 Jahren dabei, damals noch als Spieler. Welche Erinnerungen haben sie an die Meisterfeier von 2001?
Ehrlich gesagt, habe ich da gar nicht so viel von mitgenommen, weil ich danach gleich zur Jugendnationalmannschaft gefahren bin. Das war mir als Kapitän zu der Zeit wichtiger, sodass ich viel der Feierlichkeiten übers Fernsehen verfolgt habe. Da sieht man mal, wie wenig ich das gewertschätzt habe. Das ist jetzt ganz anders, auch weil ich einen ganz anderen Anteil am Erfolg habe.
Sie haben 2015 das Traineramt beim SCM als erst 33-Jähriger übernommen.
Das lief nicht ohne Probleme. Da musste ich lernen, mich mit Sponsoren und Journalisten auseinanderzusetzen, die mich kritisch gesehen haben. Und dabei wollte ich das alles erst gar nicht, weil der Trainerjob so etwas kurzlebiges sein kann und ich ja eigentlich aus der Jugendkoordination kam. Das war nicht einfach, hat mich aber geformt.
Sie waren damals nicht zuletzt aufgrund ihres Alters umstritten. Gab es Momente, in denen Sie an sich gezweifelt haben?
Eher weniger. Mein Ego ist nicht gerade klein. Doch es gab Zeiten, in denen wir als Zwergenhandball verlacht wurden. Als es nicht lief und wir gemeinsam im Präsidium saßen und über einen Rücktritt der Geschäftsführung gesprochen haben. Aber das wäre mir zu einfach gewesen. Ich wollte allen zeigen, dass das funktioniert, was ich mir ausgedacht hatte. Dass mein Konzept der Kontinuität aufgeht.
Sie haben in den vergangenen sieben Jahren den Kader nahezu komplett umgekrempelt und für einige Transfers gesorgt, die in der Liga jetzt für Aufsehen sorgen.
Man muss dazu sagen, dass wir nie einen Königstransfer hatten, bei dem wir wirtschaftlich über unsere Grenzen gegangen sind. Das können wir uns nicht leisten. Einen Omar Ingi Magnusson haben wir verpflichtet, als er seine schwere Gehirnerschütterung hatte und sich keiner mehr ran getraut hat. Das ist unsere Nische. Ähnlich war es mit Gisli Kristjansson, als wir ihn vom THW Kiel geholt haben.
Was macht das Team ihrer Meinung aus?
Die Jungs haben es immer wieder geschafft, sich nicht zu verrückt machen zu lassen. Obwohl der Druck stetig stieg. Das ist sowohl körperlich als auch mental bemerkenswert und war so nicht unbedingt zu erwarten. Gerade wenn man sich anschaut, dass Omar 25 Jahre alt ist und Gisli 22. Genauso ist es aber ein Marko Bezjak, der es mir nicht übelnimmt, wenn er ab der zweiten Saisonhälfte offensiv weniger spielt. Am Ende zählen die Mannschaft und das gemeinsame Ziel.
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Sie sind nicht nur Trainer, sondern ebenso sportlicher Leiter. Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob das alles zu viel ist? Ob der Sport Sie nicht kaputt machen könnte?
Ich habe da schon drüber nachgedacht. Burnout ist ja fast zur Volkskrankheit geworden. Ich habe da sogar mal einen Test gemacht, ob ich dafür anfällig bin. Da hat allerdings alles dagegen gesprochen und unser Sportpsychologe hat mir das bestätigt. Trotzdem habe ich manchmal Angst, dass das Stresslevel zu hoch ist. Ich will schließlich nicht irgendwann mit einem Herzinfarkt umfallen.
Sie gelten als sehr emotionaler Trainer, besonders an der Seitenlinie. In ihren Ansprachen in der Auszeit bleiben Sie unterdessen meist sehr ruhig, achten immer auf ein „bitte“. Wie gelingt dieser Spagat?
Ich finde, das gehört sich einfach so. Mir wird immer nahegelegt, dass ich nicht gut zu Schiedsrichtern bin, doch ich würde auch da sagen, dass ich sehr respektvoll bin. Allerdings habe ich einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und wenn ich mich nicht fair behandelt fühle, komme ich damit weniger gut klar. Dennoch möchte ich ein guter Verlierer sein – wenngleich ich absolut nicht verlieren kann. Da muss ich mich selbst immer etwas coachen. Ich treffe mit meiner Art eine Nische, die nicht jeder mag. Doch das ist okay. Ich wollte nie grau sein, sondern immer bunt.
Und zuhause? Wie läuft es nach einer Niederlage?
Das läuft eigentlich fast gar nicht. Meine Kinder wissen das schon und da ist dann meine Kleine beispielsweise echt super, wenn sie versucht mich wieder aufzubauen. Da kann ich schlecht weiter böse sein. Mit meiner Frau habe ich da mehr zu kämpfen. Sie erwartet selbstverständlich von mir, dass ich unabhängig von Sieg oder Niederlage für die Familie da bin. Das sind dann allerdings die üblichen Sachen in einer Ehe, die es wahrscheinlich überall gibt.
Wie schwer ist es jetzt, dass noch die Spiele in Leipzig (19.05 Uhr) und gegen Mannheim (Sonntag, 15.30 Uhr/ beide Sky) bevorstehen?
Das wird sich zeigen. Persönlich möchte ich natürlich am Ende zwei Siege stehen haben, damit es die beste Saison des Vereins aller Zeiten wird. Doch das kann ich den Jungs momentan nach diesem Hoch vielleicht schwer erklären. Die hatten Pfingsten frei und da muss ich sehen, wie jeder zurückkommt. Gleichzeitig werde ich uns nicht für die nächste Saison verbrennen – gerade wenn ich sehe, wie viele Verletzungen es in den letzten Tagen bei anderen Mannschaften gab.
Das letzte Spiel der Saison findet in Magdeburg statt, danach folgt die Vergabe der Meisterschale. Wie groß ist die Vorfreude auf diesen Moment?
Riesig! Dann kann ich mich auch endlich mal richtig freuen und habe kein nächstes Spiel, an das ich denken muss. Ich bin gespannt, was da passiert. Ich werde es auf jeden Fall richtig genießen. Das könnte etwas ganz Besonderes werden.