Highlights des Berliner Kunstjahres 2024: Diese fünf Ausstellungen sollten Sie sehen

Das Berliner Kunstjahr 2023 war ein gutes, viele spannende Ausstellungen in den großen Institutionen und in den kleinen, wenngleich auch die Berliner Kunstszene in Aufruhr geriet mit dem Krieg in Nahost und den Fragen, die damit einhergehen. Positionierungen, politische Haltungen, Ausschluss und Einschluss werden den Kunstbetrieb auch 2024 beschäftigen, beeinflussen vielleicht auch den Blick auf das Geplante. Ma wird sehen. Wir haben fünf spannende Ausstellungen für Sie zusammengestellt, die Sie im neuen Jahr nicht verpassen sollten.

1 Caspar David Friedrich in der Alten Nationalgalerie

Caspar David Friedrichs „Der einsame Baum“ von 1822 ist ab April 2024 in der Alten Nationalgalerie zu sehen.
Caspar David Friedrichs „Der einsame Baum“ von 1822 ist ab April 2024 in der Alten Nationalgalerie zu sehen.

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie/Jörg P. Anders

Ausgehend von Greifswald, seiner Geburtsstadt und Kopenhagen, wo er studiert hat, landete der passionierte Landschaftsmaler 1798 an der Elbe. Man könnte sagen, Caspar David Friedrich ist in Dresden hängengeblieben. Er kam und blieb. Und er verliebte sich in die Silhouette der Stadt, die er so eindrücklich malte, dass die Menschen bis heute fasziniert vor seinen Bildern stehen. 2024 wäre Friedrich 250 Jahre alt geworden. Den Geburtstag feiern die Dresdner Albertina, die Hamburger Kunsthalle und die Alte Nationalgalerie in Berlin mit je eigenen Jubiläumsausstellungen.

Eine solche Hommage war in Berlin überfällig, die Nationalgalerie besitzt eine der größten Friedrich-Gemälde-Sammlungen weltweit. Nun sind endlich „Das Eismeer“, „Der Watzmann“, „Mönch am Meer“ und der „Kreidefelsen auf Rügen“ auf der Museumsinsel versammelt. Zentrales Thema: Die Nationalgalerie hatte ihren Anteil an der Wiederentdeckung der Kunst Friedrichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Maler, der wie kein anderer dafür stand, Licht und Atmosphäre einzufangen, war zuvor in Vergessenheit geraten. Die Nationalgalerie machte ihn mit der „Deutschen Jahrhundertausstellung“ 1906 wieder populär und katapultierte ihn in den Olymp der Kunst, wo er bis heute einen festen Platz hat. Auch neueste Forschungsergebnisse zur Maltechnik Friedrichs will man vorstellen. Birgit Rieger

Alte Nationalgalerie, 19.4. bis 4.8.2024

2 Naama Tsabar im Hamburger Bahnhof

Naama Tsabar bei einer Performance im Kunsthaus Baselland, 2018. Komponiert und aufgeführt von Anna Erhard, FIELDED, Kristin Mueller, Sarah Strauss, Naama Tsabar und Anja Waldkircher.
Naama Tsabar bei einer Performance im Kunsthaus Baselland, 2018. Komponiert und aufgeführt von Anna Erhard, FIELDED, Kristin Mueller, Sarah Strauss, Naama Tsabar und Anja Waldkircher.

© © Kunsthaus Baselland, Foto: Serge Hasenböhler

Wer ein bisschen sucht, findet im Netz noch Spuren aus den Anfängen: Naama Tsabar schmettert, wie es sich für eine Riot-Girl-Band gehört, ihr Instrument mit aller Kraft auf den Bühnenboden. Bei der Performance zur Art Basel Miami 2010 bricht aber nicht das Holz der E-Gitarre, sondern das des Bühnenbodens, den sie mit ihrer Stratocaster zerlegt. Was bleibt, sind die Trümmer der Bühne als Skulptur: Ein Stück museal gewordener Gegenkultur, stiller Noise.

Diese Bewegung, vom Riot-Punk zur Galerie, und andersrum, vollzieht sie bis heute immer wieder. Etwa in der Serie „Melody of certain damage“, in der sie zerlegte E-Gitarren räumlich anordnet, zwischen die Trümmer Saiten spannt, die sie bei Performances bespielt. Oder in den „Works with Felt“, in denen sie Filzskulpturen Schwingungen abgewinnt. Das Material ist dabei nicht nur eine offensichtliche Referenz an Beuys (wie die zerstörte Gitarre an Marclay). Im Klavier dient Filz zur Unterdrückung ungewollter Saitenschwingung. Das Lautwerden der Gebrochenen und Unterdrückten hat für Tsabar eine feministisch empowernde Dimension, die in den Ausstellungen auch das Publikum erfasst: Die Arbeiten sind fast durchweg zum Anfassen gedacht – und jede Berührung wird elektrisch verstärkt. Thomas Wochnik

Hamburger Bahnhof, 22.3. bis 22.9.2024

3 Kader Attia in der Berlinischen Galerie

Kader Attias Konzept einer postkolonialen „Reparatur“ suchen Wege der Verständigung jenseits der Restitution geraubter Objekte.
Kader Attias Konzept einer postkolonialen „Reparatur“ suchen Wege der Verständigung jenseits der Restitution geraubter Objekte.

© © Courtesy the artist and Galerie Nagel Draxler Berlin/ Köln/ München, Foto: Toni Hafkenscheid

Bei der Berlin Biennale 2022 schürfte Kurator Kader Attia knapp an einem Skandal vorbei, nachdem drei irakische Künstler ihre Werke aus Protest gegen ebenfalls gezeigte Folterfotos aus dem Gefängnis von Abu Graib entfernen lassen hatten. Im Nachhinein erscheint mancher Beitrag in einem anderen Licht, nachdem Biennale-Teilnehmer in den sozialen Netzwerken zustimmende Posts zum Hamas-Massaker geliked hatten.

Man wird also genauer hinschauen, wenn die Berlinische Galerie Attia eine Ausstellung widmet. Doch keine Sorge, er zeigt mit „J’accuse“ (2016) und „The Object’s Interlacing“ (2020) zwei Werkkomplexe aus einer Zeit, als die Kunstwelt noch nicht von Antisemitismus-Vorwürfen und zweifelhaften Solidaritätsbekundungen erschüttert war. Vielleicht lässt dies freier hinschauen, denn der 1970 in den Banlieues von Paris aufgewachsene Sohn algerischer Einwanderer ist ein großartiger Bildhauer und kluger Kopf. Sein Konzept einer postkolonialen „Reparatur“ sucht Wege der Verständigung jenseits der Restitution geraubter Objekte. Wie eine zerstückelte Welt zusammengefügt werden könnte, beschäftigte auch die Dadaistin Hannah Höch. Attias Schau ergänzen Collagen aus ihrer Serie „Aus einem ethnografischen Museum“. Eine spannende Begegnung. Nicola Kuhn

Berlinische Galerie, 27.4. bis 19.8.2024

4 „Berlin – Die 90er Jahre“ bei C/O Berlin

Berlin in den 90er Jahren – eine Stadt im Umbruch. Nach dem Mauerfall herrschte Aufbruchstimmung, es entstanden neue Freiheiten, Modebewegungen, Clubs und Szenen. Eine junge Generation blickte selbstbewusst und politisch engagiert in die Zukunft. Zum Sinnbild der politischen Umbrüche wurde die Verhüllung des Reichstags durch das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude sowie die Schließung und anschließenden Zwischennutzung des Palastes der Republik.  

In jenen Jahren wurde auch die Ostkreuz-Agentur von Fotografen und Fotografinnen der ehemaligen DDR gegründet, darunter Sibylle Bergemann, Harald Hauswald und Ute und Werner Mahler. In ihren Arbeiten hielten sie genau jene Brüche und Umbrüche der Zeit fest, sie dokumentierten Alltagsszenen, aber auch Modetrends und Szenen. Ihre Bildsprache war eindringlich, manchmal melancholisch und wich damit von der Handschrift vieler westlicher Fotografen ab.

Zahlreiche Ausstellungen haben sich ihrem Œuvre bereits gewidmet. Unter dem Titel „Berlin – Die 90er Jahre“ zeigt auch das C/O Berlin im kommenden Jahr rund 200 Arbeiten aus den Jahren unmittelbar nach der Wende und danach. Angekündigt sind die ikonischen Arbeiten, aber auch – und das ist besonders spannend – nie zuvor gezeigtes Archivmaterial dieser legendären Fotografen und Fotografinnen. Katrin Sohns

C/O Berlin, 14.9.2024 bis 23.1.2025

5 „Zerreißprobe“ in der Neuen Nationalgalerie

Malerei aus der DDR: Wolfgang Mattheuers „Die Ausgezeichnete“ von 1973/1974 ist Teil der Dauerausstellung der Neuen Nationalgalerie.
Malerei aus der DDR: Wolfgang Mattheuers „Die Ausgezeichnete“ von 1973/1974 ist Teil der Dauerausstellung der Neuen Nationalgalerie.

© Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Foto: Klaus Göken / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Den Muff vergangener Jahrzehnte hat schon David Chipperfield der Neuen Nationalgalerie ausgetrieben. Seit der Generalsanierung durch den namhaften Architekten wirkt das Haus wie einmal durchgepustet. Dasselbe ist nun mit der Sammlung passiert: Die neue Hängung all der Kunst, die vielfach in Depots vor sich hin schlummerte, macht Schluss mit der eindimensionalen Erzählung der Moderne.

Mehr Künstlerinnen, mehr Malerei und Skulptur aus DDR-Zeiten wie auch der Avantgarde Osteuropas: Werke von Pablo Picasso oder Barnett Newman stehen nicht länger für sich, sondern im Kontext einer vielstimmigen Geschichte. Es gibt das Video „Semiotics oft he Kitchen“, in dem die US-amerikanische Künstlerin Martha Rosler den Aktionsradius zahlloser Frauen der 70er Jahre kommentiert – und die serielle Malerei eines Horst Bartnig, Jahrgang 1936, der eben nicht dem ostdeutschen Agitprop huldigte.

„Zerreißprobe“, so der Titel der neuen Dauerpräsentation, öffnet den Blick für die pluralistische Sprache der Kunst nach 1945. Endlich kein Kanon mehr, den die Museen viel zu lange selbstherrlich gepflegt haben. Stattdessen: Neugier, Emanzipatorisches, Überraschendes. Und natürlich das Video, das als Motto über dieser Sichtung schwebt: „Zerreißprobe“ des Wiener Aktionisten Günter Brus, der sich 1970 körperlich bis an die eigenen Grenzen trieb. Christiane Meixner

Neue Nationalgalerie, läuft seit Nov. 2023, bis 28.9.2025.