Sandro Schwarz und seine fußballerische Prägung: Hertha BSC versucht es auf Mainzer Art
Christian Heidel, der Mister Mainz 05, war früher mal Gladbach-Fan, aber das war in einer Zeit, als sich der FSV Mainz 05 und Borussia Mönchengladbach noch nicht regelmäßig in der Fußball-Bundesliga begegnet sind, und hat sich längst verflüchtigt. Eine andere Zweitlieblingsmannschaft? „Ehrlich? Nein“, sagt der 59-Jährige im Videocall.
Nicht mal Hertha BSC, selbst wenn es dafür mindestens drei gute Gründe gäbe. Erstens: Sandro Schwarz, Ex-Mainzer. Zweitens: Suat Serdar, Ex-Mainzer. Und drittens: Jean-Paul Boetius, Ex-Mainzer.
„Natürlich verfolgt man die Jungs, die mal bei uns waren“, sagt Heidel, Vorstand des FSV. „Aber ich gucke nicht so darauf: Wo ist ein ehemaliger Spieler? Wo ist ein ehemaliger Trainer? Sonst hätte ich viele Zweitlieblingsmannschaften.“
Bei Hertha BSC ist der Faktor Mainz derzeit immerhin besonders stark ausgeprägt, und das nicht nur personell. Wenn Sandro Schwarz, Herthas Trainer, über den nächsten Gegner in der Bundesliga spricht, dann hört sich das ein bisschen so an, als spräche er über die Hertha der Zukunft.
Mainz sei „eine Mannschaft, die sehr stabil ist, sehr aktiv Fußball spielt und schnell den Weg in die Tiefe sucht”, sagt Schwarz. So ähnlich schwebt ihm das mittel- bis langfristig auch für sein eigenes Team vor.
Mainz 05 hat Schwarz geprägt
Herthas Trainer wird an diesem Freitag in der alten Heimat (20.30 Uhr, live bei Dazn) viele bekannte Gesichter treffen. Er ist in Mainz geboren, hat ab der B-Jugend für die 05er gespielt, ist 2004 mit ihnen in die Bundesliga aufgestiegen, hat die U 19 trainiert, die U 23 und schließlich auch die Profis. Unter seinen Freunden und Bekannten sind einige, die eine Dauerkarte für das Mainzer Stadion haben. „Ich gehe davon aus, sie wissen, zu wem sie am Freitag halten sollen“, sagt Herthas Trainer.
Schwarz hat die Entwicklung des FSV Mainz 05 von einem mäßigen Zweitligisten zu einem gestandenen Mitglied der Bundesliga aus der Nähe miterlebt. „Es war eine sehr prägende Zeit“, sagt er. „Die Art und Weise, wie dort gearbeitet wurde, die nimmt man mit.“
Christian Heidel hat an dieser Prägung entscheidend mitgewirkt. Abgesehen von seinem Ausflug nach Schalke ist er seit fast 30 Jahren im Vorstand des Klubs tätig.
Heidel hat Wolfgang Frank 1998 nach Mainz geholt, den ersten Trainer, „der auf Taktik sehr viel Wert gelegt hat“, wie Heidel erzählt, und der damit stilbildend wurde; er hat Jürgen Klopp 2001 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vom Spieler zum Trainer befördert und damit indirekt einen eigenen Mainzer Stil auf den Weg gebracht. „Die Art und Weise, wie sie Fußball spielen, ist immer sehr unangenehm“, sagt Fredi Bobic, Herthas Sportgeschäftsführer, über die Mainzer, „mit ihrer Aktivität, wie sie in jedem Spiel brennen und auch sehr körperlich agieren.“
Wenn man sich die Auftritte der vergangenen Wochen anschaut, dann lässt sich all das immer mehr auch in den Spielen von Hertha BSC erkennen. „Man sieht da schon die Handschrift von Sandro“, sagt Heidel.
Beide kennen sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert, beide schätzen sich. „Wenn Sandro Bedarf hat, über irgendwelche Dinge zu sprechen, hat er mich angerufen. Dann haben wir uns ausgetauscht, ohne dass wir das irgendjemandem erzählt haben. Da besteht schon ein großes gegenseitiges Vertrauen“, erzählt der Sportvorstand der Mainzer. „Sandro ist ein ganz besonderer Typ.“
Heidel war immer von Schwarz überzeugt
Der Kontakt ist auch nicht abgerissen, als zunächst der eine und dann der andere Mainz verlassen hat. Als Schwarz 2019 beim FSV als Cheftrainer entlassen wurde, hat Heidel das nur aus der Ferne beobachtet. „Ich habe das natürlich sehr bedauert, ohne dass ich das bewerten möchte“, sagt er. „Aber ich weiß, mit wie viel Herz Sandro hier tätig war. Und ich bin mir ganz sicher, dass er die Ziele, die der Klub sich gestellt hatte, ebenfalls erreicht hätte.“
Heidel war es, der Schwarz als Trainer ins Nachwuchsleistungszentrum der Mainzer geholt hat. Und er war sich sicher, dass Schwarz irgendwann die Profis trainieren werde.
Von dessen Qualitäten ist er weiterhin überzeugt. Deshalb würde Heidel Hertha auch nicht unterstellen, Mainz 05 kopieren zu wollen. „Das würde Sandro nicht gerecht werden“, sagt der Sportvorstand der Mainzer. „Sandro schaut sehr genau, was er an Personal zur Verfügung hat und was die Situation erfordert. Er war weder hier noch ist er in Berlin ein Trainer, der nur auf eine Art spielen lässt.“
Zwei seiner Spieler sind ebenfalls in Mainz fußballerisch sozialisiert worden. Da ist zum einen Suat Serdar, der im Nachwuchsleistungszentrum der 05er groß geworden ist. „Sandro kennt ihn in- und auswendig. Er weiß, wie er ihn anpacken muss, wie er ihn einsetzen muss“, erzählt Heidel. „Ich bin mir sicher, dass sich keiner mehr gefreut hat als Suat Serdar, als er gehört hat, dass sein ehemaliger Trainer wieder sein Trainer werden wird.“
An diesem Freitag allerdings wird Serdar wegen eines Infekts nicht spielen können. Seinen Platz im Mittelfeld nimmt dann vermutlich ein weiterer Ex-Mainzer ein: Jean-Paul Boetius. „Der weiß, wie es funktioniert“, sagt Heidel.
Vier Jahre stand der Holländer beim FSV unter Vertrag. In dieser Zeit sei er ein typischer Mainz-05-Spieler geworden, sagt Heidel: „Unter zwölf Kilometern im Spiel macht er es ganz, ganz selten.“ Dazu habe er „fußballerische Fähigkeiten, da träumen andere von“.
Trotzdem musste Boetius in diesem Sommer lange warten, bis er überhaupt einen neuen Verein gefunden hat. Nach eigener Einschätzung hatte er eine gute Saison gespielt, er war ablösefrei, das passende Angebot aber wollte sich lange nicht einstellen.
Eigentlich hatte Boetius vor, noch einmal ein neues Land und eine neue Liga kennenzulernen. „Er wollte nicht mehr in der Bundesliga spielen, besonders nicht für einen anderen Verein als Mainz 05, den er sehr geliebt hat“, sagt Heidel. Aber es gebe sicherlich Schlimmeres, als in der Hauptstadt zu wohnen, für Hertha BSC zu spielen und unter Sandro Schwarz zu trainieren.
Und ein bisschen Mainz 05 hat Jean-Paul Boetius jetzt schließlich auch in Berlin.
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