Angst und Depression als Comic-Thema: Im Reich der bunten Monster
Er stirbt bei einem Flugzeugabsturz und wird von einer Schlange gefressen, er hat einen unheilbaren Tumor und wird in seinem Schlafzimmer von Monstern heimgesucht. Nando von Arb hat viele Ängste, die ihn seit seiner Jugend begleiten. Panikattacken und die Furcht vor einem unnatürlichen Tod gehören für den 1992 in Zürich geborenen Künstler zum Alltag.
In seinem kürzlich bei der Edition Moderne veröffentlichten autobiografischen Buch „Fürchten lernen“ gibt der in Luzern und Belgien ausgebildete Illustrator kunstvolle Einblicke in sein Leben mit der Angst.
Es ist eines von zwei beeindruckenden Werken zu seelischen Problemen und dem Umgang damit, die kürzlich bei dem auf Avantgarde-Comics spezialisierten Schweizer Verlag erschienen sind. Fast zeitgleich hat hier die Zeichnerin Rina Jost ihren zweiten Lang-Comic „Weg“ veröffentlicht, in dem es um die Auswirkungen psychischer Krankheiten vor allem auf das Umfeld der Betroffenen geht.
Wie bereits in seiner vielfach ausgezeichneten ersten Graphic Novel „Drei Väter“ von 2019 schöpft Nando von Arb auch in seinem neuen Werk das Repertoire der Kunstform Comic aus. Er verbindet realistische Alltagsszenen mit Surrealistischem, arbeitet mit unterschiedlichen Zeichen- und Malstilen zwischen Illustration, Expressionismus und Abstraktion und nutzt für fast jede Sequenz eine andere Kombination von Farben, die in ihrer Vielfalt und Buntheit einen starken Kontrast zu den düsteren Themen des Buches abgeben.
Über mehr als 400 Seiten schafft der Künstler ein beeindruckendes Panoptikum an visuellen Metaphern für seine Ängste und deren Folgen. Seine Figuren sind mit dicken, klaren Umrisslinien gezeichnet und wirken mit ihrer flächigen Kolorierung wie Akteure in einem Papiertheater.
Mal ist von Arbs gezeichnete Alter Ego ein Mensch, mal ein Tier. Mal schildert er reale Situationen aus seiner Jugend, der Ausbildung oder dem Arbeitsalltag, um dann in anderen Szenen komplett in Horror-, Traum und Märchenwelten abzutauchen.
Einen großen Raum nehmen die Erinnerungen an die Jugend in einer unkonventionellen Patchwork-Familie ein, die das zentrale Thema in „Drei Väter“ war. Seine sorgenvolle, weitgehend alleinerziehende und meist erschöpfte Mutter vermittelte ihm früh die Sensibilität für Gefahren, wie von Arb in „Fürchten lernen“ an mehreren Stellen ausführt.
So erschütternd viele Schilderungen durch die darin vermittelte Verzweiflung sind, so faszinierend ist ihre visuelle Umsetzung. Viele seiner Bildfolgen sind ohne klassische Panel-Einteilungen zu Papier gebrachten und wirken teilweise wie im Rausch gezeichnet.
Wie ein Bewusstseinsstrom fließen an vielen Stellen Erinnerungen und Gedanken wild durcheinander, fügen sich aber immer wieder in das alles verbindende Narrativ ein. Mehrfach wird dabei die Hilflosigkeit des Autors offensichtlich, die mit diesen Situationen verbunden war und ist.
Zugleich sind die Seiten grafisch so meisterhaft gestaltet sind, dass sich fast jede von ihnen gut in einer Galerie für Illustrationskunst machen würde. Und immer wieder blitzt in den lebensnahen Textfeldern und Dialogen und auch jener selbstironische Humor des Autors durch, der schon „Drei Väter“ trotz seiner ernsthaften Thematik zu einer an vielen Stellen sehr amüsanten Lektüre machte.
Über die Jahre hat Nando von Arb Methoden entwickelt, seine Phobien zu beherrschen und zu kanalisieren. Dazu gehört auch, sich seiner Gefühle bewusst zu werden, sie offensiv zu thematisieren und letztendlich zu akzeptieren.
Was ihm darüber hinaus zumindest teilweise dabei hilft, die Monster in seinem Innern besser zu beherrschen, deutet er gegen Ende des Buches an: Unter anderem Sport, Ablenkung, Freundschaften und Medikamente. Ein uneingeschränktes Happy End darf man hier jedoch nicht erwarten.
Wenn die Schwester zum Stein wird
Das gilt auch für Rina Josts Buch „Weg“, das eine ganz andere, nicht weniger kunstvolle Bildsprache findet, um über traumatische persönliche Erfahrungen zu sprechen. Die 1987 geborene Schweizer Illustratorin, die ebenfalls an der Kunsthochschule Luzern ausgebildet wurde, hat vor sieben Jahren das illustrierte Reisetagebuch „Der Hase auf dem Rücken eines Elefanten“ veröffentlicht, in dem sie humorvoll und in freundlich-bunten Zeichnungen von ihren Erlebnissen in Russland und China berichtete.
„Weg“ ist ebenfalls von der eigenen Lebensgeschichte geprägt, wenngleich das Buch in einer fiktionalisierten, über weite Strecken an ein Märchen erinnernden Form gehalten ist. Es beginnt damit, dass Sybil, die Schwester der Hauptfigur Malin, eines Tages erst verblasst, dann zu einem Stein wird und schlussendlich ganz verschwindet. Um herauszufinden, was mit der Schwester passiert ist, taucht Malin in eine Parallelwelt ein, die von Monstern und Fabelwesen bevölkert ist.
Ähnlich wie Nando von Arb arbeitet auch Rina Jost virtuos mit visuellen Metaphern, um ihr Thema – eine schwere Depression und deren Folgen für das Umfeld der Betroffenen – anschaulich zu vermitteln.
Auf ihrer Queste durch die Parallelwelt sucht Malin nach ihrer Schwester und hat dabei viele Begegnungen, die ihr dabei helfen, mit der Situation umzugehen. Es gibt weise Helfer, die sie ermutigen, einen toten Hai als Glücksbringer und symbolträchtige Orte wie einen Fluss, der als Trennline und Übergang zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten fungiert.
Auch hier wird die Ernsthaftigkeit des Themas immer wieder auch durch humorvolle Szene aufgelockert. Ein paar Mal droht der Erzählerin ein ähnliches Schicksal wie ihrer Schwester, doch sie findet immer einen Ausweg.
Die Geschichte geht dabei weniger in die Tiefe als „Fürchten lernen“, schon aufgrund ihres Umfangs, der nicht mal ein Drittel von Nando von Arbs Buch beträgt. Josts klare, cartoonig reduzierte Zeichnungen und die warmen Farben ihrer Bilder haben die Anmutung eines freundlichen Abenteuercomics. Sie sind handwerklich souverän ausgeführt und vermitteln ein komplexes, schweres Thema so zugänglich, dass es auch jüngere Leserinnen und Leser ansprechen dürfte. Der Verlag empfiehlt 12 Jahre als Mindest-Lesealter.
Wie ernst der Hintergrund der Geschichte trotz der visuell eher leichten Anmutung von „Weg“ ist, vermitteln die letzten Seiten des Buches noch einmal besonders deutlich. Dort findet sich zum einen ein zweiseitiger Anhang mit Informationsmaterial für von Depression betroffene Familien. Und es gibt eine Widmung der Autorin über einem Kinderfoto zweier Schwestern, die zeigt, wie groß die persönliche Relevanz des Themas für sie ist: „Für D. – auch wenn du es vielleicht nie lesen wirst.“