Die Heldin und der Patriarch

Der Unterschied zwischen sexy und Sexismus ist bis heute die Achillesferse der Figur Wonder Woman. Wie sehr das bereits in der Kreation der Figur angelegt war, zeigt Jill Lepores Sachbuch „Die geheime Geschichte von Wonder Woman“, (aus dem Englischen von Werner Roller, C.H. Beck, 552 S., 29,95 €) das mit Verspätung von fast einem Jahrzehnt endlich auf Deutsch vorliegt.

Sexyness und Stärke. Eine Wonder-Woman-Seite aus den 1940er Jahren.Foto: Panini

Lepore ist Historikerin, ihr Sachbuch „Diese Wahrheiten“, das die Geschichte der USA unter dem Aspekt der Versprechen in der amerikanischen Verfassung ausleuchtet, ist eines der spannendsten historischen Bücher der vergangenen Dekade.

Wer von Lepores Wonder-Woman-Buch also erwartet, dass sie nur die Verlags- und Figurengeschichte der Superheldin erzählt, wird mindestens teilweise enttäuscht. Erst ab Mitte des Buchs beginnt die eigentliche Kreation der Figur. Lepore bindet diese Kreation in den historischen Kontext ein. Das heißt: in die Geschichte des Feminismus des zwanzigsten Jahrhunderts.

Darum der lange Anlauf, den sie nimmt, vom US-Frauenwahlrecht 1920 und der Gründung der ersten Beratungsstellen für Verhütung durch Margaret Sanger kurz zuvor. Lepore stellt die Figur Wonder Woman, die von dem Psychologen William Marston 1941 entwickelt wurde, nicht zuletzt in diesen Kontext, weil Marston sich selbst darauf berief. Hier entspannt sich ein zweiter Handlungsstrang, der Marston gewidmet ist.

Der war eine zwiespältige Figur. Frauenrechtler einerseits, nutzte er andererseits Zeit seines Lebens Frauen aus. Insbesondere seine beiden in offener Dreierehe mit ihm lebenden Partnerinnen, die das Geld verdienten und das Geschäft am Laufen hielten, damit Marston sich Geschichten ausdenken konnte, in denen Wonder Woman gegen Patriarchat und weibliche Ausbeutung kämpfte.

Pin-up-Girl und Frauenrechtlerin

Lepore ist Vertreterin jener empathischen Darstellungsweise, die englischsprachige Sachbuchautoren so viel besser beherrschen als deutschsprachige. Entsprechend ist ihr Porträt Marstons nicht vernichtend angelegt. „Es war, ehrlich gesagt, schwer zu sagen, was man von ihm halten sollte“, gibt sie im Nachwort zu.

Gal Gadot dürfte aktuell die bekannteste Verkörperung von Wonder Woman sein, hier eine Szene aus dem Film „Wonder Woman 1984“.Foto: imago images/Prod.DB

Eher liegt in der Komplexität Marstons, der als Patriarch eine bewusst feministische Ikone schuf, der Ursprung für den Zwiespalt der Figur, die zwischen 1946 und 1985 ausschließlich von Männern geschrieben und gezeichnet wurde und deren Charakterisierung sich häufig darauf beschränkte, eine Art Superman mit Brüsten zu sein: sexistisch statt sexy.

Das Titelbild des besprochenen Buches.Foto: C.H. Beck

Lepore geht dagegen zum Kern der Figur, wie sie von Marston und dessen beiden Frauen angelegt wurde: als Pin-up-Girl und Frauenrechtlerin. Durch die Einbindung in das größere Geschehen macht sie zudem klar, dass Wonder Woman keine Fußnote in der Geschichte der Frauenbewegung ist, eingekeilt zwischen den Suffragetten der Jahrhundertwende und den Feministinnen der Gegenwart. Sondern dass sie Bindeglied zwischen beidem ist, mit nachhaltigem Einfluss auf die Feministinnen der Gegenwart.

Einer der seltenen Fälle, in denen sich die meist eher kleine Geschichtsschreibung des Comics mit der großen eines gesamten Landes verknüpft, erwartungsgemäß brillant verfasst zudem.