Ganz nah am Traum vom klassischen Crooner
Da isser ja wieder. Nach dem Liechtenstein-Hype Mitte der 2010er Jahre mit Internet- und Edeka-Berühmtheit, mit Alben, Biografie, Talkshowauftritten, Fernsehserie und Titelfoto auf der „New York Times“ fing man ja schon langsam an, sich zu fragen, was eigentlich künstlerisch aus Entertainer und Althipster Friedrich Liechtenstein geworden ist.
Sicher wirkt er nach wie vor als Werbeträger und Moderator, geistert im Fernsehen umher, singt mal einen Song mit dem Moka Efti Orchestra und im Februar kam der rbb-Podcast „Liechtenstein in Stalinstadt“ über die Geschichte von Eisenhüttenstadt heraus, wo der Mann 1956 als Hans-Holger Friedrich geboren wurde. Aber musikalisch tat sich lange nichts mehr in Albumform.
Friedrich Liechtenstein landet – bei sich selbst
Mit „Good Gastein“ (haha) macht der Friedrich Liechtenstein, der nach einem Abstecher nach Wien unterdessen wieder in Berlin-Mitte am Alexanderplatz leben soll, thematisch da weiter, wo er mit „Bad Gastein“ (2014) und „Schönes Boot aus Klang“ (2015) aufgehört hat. Bei sich. Bei jener Kunstfigur, die der einst an der Hochschule Ernst Busch zum Puppenspieler ausgebildete Performer, der kurz vor der plötzlichen Edeka-Berühmtheit noch als besitzloser Schmuckeremit im Dachstübchen einer Berliner Brillenfirma hauste, im zweiten Leben aus sich gemacht hat.
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Beim Eskapisten mit Rauschebart, Sonnenbrille, Morgenmantel, gold lackierten Fingernägeln und dunkel raunender Märchenonkel-Stimme. Nur, dass er diesmal, dem Albumcover nach zu urteilen, einen knitterigen Schlafanzug statt des schnieken Anzugs trägt und sein Sehnsuchtsort Bad Gastein nurmehr symbolisch als konzeptionelle Folie dient. Als Metapher eines mit Nostalgie, Melancholie und Ironie getränkten Nirgendwos.
Im ersten Konzeptalbum über den von Liechtenstein „Wolkenkratzerdorf“ betitelten, einstigen k.u.k. Kurort südlich von Salzburg, spürten Liechtensteins Songs – unterlegt von elektronischen Klangteppichen – der morbiden Aura der dort leer stehenden Hotelpaläste aus der Belle Époque nach.
Jetzt erhebt er im Titelsong „Good Gastein“ den Alpenort, in dem er vor Jahren die „Vertikale“, ein Festival für Filme im Hochkant-Format initiierte, mit Versen wie „Unvernünftige Städtchen sind schön“ in universelle Höhen. Was Liechtensteins Spintisierereien aber genau zu bedeuten haben, weiß sowieso nur er. Viele interessanter ist das synkopierte Percussion-Bett, dass – verstärkt von Taiko Saito am Vibraphon – die Wortflausen des Brummbärs vor sich hertreibt.
Getränke schlabbern vorm Mikro
Saito gehört zur achtköpfigen Band The Octagon Pavillon, die Liechtenstein begleitet. Geleitet wird sie vom Tenorsaxofonisten Sebastian Borkowski, der lange zu Nu-Jazz-Zirkeln gehörte, Liechtenstein aber diesmal als musikalischer Leiter einen wundervoll farbenreich, akustischen Sound zwischen Lounge- Jazz und Popschlager verpasst hat.
Blöd ist, dass nur zehn der 17 Tracks aus gesprochenen Texten bestehen, die Liechtenstein in allzu lässiger Pose, zu der auch das wiederholte Trinken von Kaffee gehört, vorträgt. Ist ja schön, wenn einer ein lässiger Typ sein will, aber Getränke schlabbern vorm Mikro muss echt nicht sein. Inhaltlich geht es im „Spoken Word“ von Rilkes Duineser Elegien über das blutige Märchen vom Machandelboom hin zu ironischen Wortspielereien. Kurz gesagt: Wenn Friedrich Liechtenstein singt, ist er viel besser.
[„Good Gastein“ erscheint am 19. August bei Motor Entertainment (Edel)]
Tatsächlich hat er seinen Traum, als klassischer Crooner durchzugehen, noch nie so gut erfüllt wie auf „Good Gastein“. Auch wenn er mit „Close To You“ und „We Have All The Time In The World“ gar zwei Songs von „Bad Gastein“ wiederholt. Dafür sind mit „Ride“ von Lana Del Rey und „Coming Around Again“ von Carly Simon auch neue dabei.
Teils in einer druckvollen, gänzlich unonkeligen Singstimme intoniert. Dass auch Manfred Krug zu den musikalischen Vorbildern Liechtensteins gehört, wird durch den Krug-Song „Das war nur ein Moment“ klar. Eine Hommage, bei der auch die siebzigertypische Easy-Listening- Querflöte nicht fehlen darf, die Sebastian Borkowski spielt.
Dass der gebürtige Brandenburger Liechtenstein auch Berliner ist, schlägt sich in zwei gelungen Song-Compilations nieder: „Westberlin“ ist eine neunminütige Sprechgesangsbeschwörung einstiger Szeneorte. Im „Linientreu“ oder „Metropol“ hat Liechtenstein, der in den achtziger Jahren in Ost-Berlin studierte, sicher nie seinen Electric-Slide getanzt.
Das hindert ihn aber nicht daran, sich als ironischen Westalgiker zu betätigen. Richtig schön fies ist die Ballade „Ach Berlin“ mit dem Refrain „Ach Berlin, du bist wirklich nichts Großes, nichts zum Niederknien./ Du bist vom Stamme nimmt, du kannst nichts geben. So langsam frage ich mich, warum ich immer noch hier bin.“ Also auf nach Bad Gastein.