Ex-Fußballprofi Tabea Kemme: „Für viele Sportler ist es unbequem, sich mit Politik auseinanderzusetzen“
Tabea Kemme, Sie haben kürzlich auf Instagram, wo ihnen über 30.000 Menschen folgen, gepostet „Nie wieder ist jetzt! Jetzt ist der Moment, um für Demokratie einzustehen“. Das war nur wenige Tage, nachdem CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz seinen Antrag zur Migrationspolitik mit Stimmen der AfD durchgesetzt hatte. War das der Grund?
Auf jeden Fall, das war der Urknall. Dass sich eine demokratische Partei wie die Union eine Mehrheit über die Stimmen einer rechtsextremistischen Partei einholt, ist ein übles Foul und mit dem Wertekodex des Miteinanders nicht vereinbar.
Erst kürzlich war ich bei einer Gesprächsrunde mit Annalena Baerbock, bei der sie die Frage in den Raum warf: In welchem Land wollt ihr leben? Ich möchte in einem freien, demokratischen Land leben. Und ich wünsche mir Offenheit gegenüber anderen Kulturen. Die Attribute, die ich während meiner Karriere gelebt habe, möchte ich aus dem Sport in die Gesellschaft tragen. Deshalb beziehe ich öffentlich Stellung.
Was bedeutet es, als Sportlerin für die Demokratie einzustehen?
Ich höre oft, dass wir im Sport diszipliniert und zielorientiert seien. Wir gehen geradeaus und stehen für uns ein. Wir zeigen Haltung.
Ich selbst habe das lange Zeit so verstanden, dass man Werte wie Gleichberechtigung befürwortet. Mittlerweile glaube ich, dass Haltung zeigen weit darüber hinaus geht. Wir Sportler:innen sind in der Pflicht, uns aktiv für das demokratische Miteinander einzusetzen.
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Inwiefern?
Wir haben im Sport Vereine und Verbände. Aber wir Sportler:innen sind auch Privatpersonen mit einer enormen Reichweite. Damit geht Verantwortung einer. Wir sollten unsere Plattform nutzen. Ich persönlich engagiere mich auch parteipolitisch.
In welcher Partei sind Sie aktiv?
Bei den Grünen. Einen Tag vor Weihnachten habe ich den Mitgliedsantrag gestellt. Grund dafür ist vor allem das Thema Klimaschutz, das mich sehr beschäftigt.
Robert Habeck war einst Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Ihre Familie wohnt auch in Norddeutschland…
Das passt gut. Ich bin vor einiger Zeit auf den Bauernhof meiner Familie gezogen, wo ich aufgewachsen bin. Themen wie Biodiversität und Solarenergie sind uns sehr wichtig.
In den vergangenen Wochen sind deutschlandweit hunderttausende Menschen auf die Straßen gegangen, um für die Brandmauer zu demonstrieren. Sie auch?
Ja, ich war auf einer Demonstration in Köln. Ich werde außerdem bald meine erste politische Rede halten. In unserem Landkreis soll eine Menschenkette für Demokratie gebildet werden. Ich werde darüber sprechen, was mich im Sport geprägt hat.

© imago/Sven Simon/IMAGO/Anke Waelischmiller/Sven Simon
Wie hat der Sport Sie diesbezüglich geprägt?
Das Miteinander wurde großgeschrieben. Wir alle hatten Bock, gemeinsam als Fußballteam Erfolg zu haben – auch wenn eine gewisse Konkurrenz herrschte. Ich möchte den Menschen Mut zur Zuversicht machen.
Was lässt Sie so zuversichtlich sein?
Bei der Demo in Köln waren 40.000 Menschen dabei. 40.000 Menschen, die sich für die gleichen demokratischen Werte einsetzen. 40.000 Menschen, die Bock auf eine offene Gesellschaft haben. Die Energie war unglaublich und machte Mut.
Sie haben sich nicht alleine auf Instagram für den Schutz der Demokratie stark gemacht, sondern gemeinsam mit anderen Athlet:innen, wie dem Surfer Dylan Groen und der Paralympionikin Mareike Miller…
Ich bin am Olympiastützpunkt in Potsdam groß geworden und dadurch in vielen Sportarten vernetzt. Die meisten habe ich einfach angerufen oder über die sozialen Medien kontaktiert.
Ich habe ihnen gesagt: Die demokratischen Werte sind das höchste Gut, das wir haben. Wir müssen es gemeinsam verteidigen. Gemeinsam mit etwa 25 anderen Athlet:innen haben wir die Gruppe „Deutsche Athlet:innen für demokratische Parteien“ gegründet.
Was ist das Ziel?
Der erste Punkt ist, dass die Leute wählen gehen sollen. 25 Prozent der Wahlberechtigten haben letztes Mal nicht gewählt, das darf nicht sein.
Der zweite Punkt ist, dass wir mitentscheiden wollen. Es gibt zwar die Vereinigung Athleten Deutschland, die in den letzten zwei Jahren das Sportfördergesetz formuliert hat. Seit dem Koalitionsbruch hat sich da aber nichts getan. Wir wollen die Forderungen langfristig weiter vorantreiben, sozusagen eine Art Sportlobby bilden.
In der Klimathematik ist Luisa Neubauer für mich eine große Inspiration.
Tabea Kemme
Warum positionieren sich immer noch so wenige Sportler:innen politisch?
Sobald man den Sportkosmos betritt, wir einem suggeriert, dass Sport der einzige Fokus sein muss und Sport unpolitisch sei. Das weiß ich aus meiner eigenen Karriere. Man wird kaum in Entscheidungsprozesse eingebunden, sondern es wird meist über den eigenen Kopf entschieden. Wie soll man da lernen, Verantwortung zu übernehmen? Außerdem ist es für viele unbequem, sich mit Politik auseinanderzusetzen.
Fanden Sie Politik auch unbequem zu Ihrer Zeit als Fußballerin bei Turbine Potsdam?
Ich war bereits während meiner Karriere konfliktfreudig und habe mich für Dinge eingesetzt, die zu Auseinandersetzungen führten. Diesen Weg gehe ich heute weiter.
Was hat Ihnen geholfen, diesen Weg zu gehen?
Inspirierende Menschen. In der Klimathematik ist Luisa Neubauer für mich eine große Inspiration. Sie bestärkt einen darin, auch in schweren Zeiten wie diesen weiterzulaufen und Konflikte nicht zu scheuen. Das lehrt uns auch der Sport: Nach jedem Rückschlag, nach jeder Niederlage geht es weiter. Aufgeben ist keine Option. Irgendwann hat man damit Erfolg.
Was würden Sie anderen Sportler:innen raten?
Über den Tellerrang hinauszuschauen. Ich lese viel und beschäftige mich mit gesellschaftlichen Themen. Nach der aktiven Karriere ist es wichtig, die Zeit aufzuarbeiten und zu reflektieren, mittels Therapeuten oder Coachings. Man sollte sich fragen, was die eigene intrinsische Motivation ist für das Leben nach der Leistungssportkarriere.
Und während der Karriere?
In den Nachwuchsleistungszentren braucht es mehr Angebote. Viele Jugendliche sind tief in der Fußball-Bubble und setzen sich kaum mit anderen Dingen auseinander.
Meine ehemalige Teamkollegin Josephine Henning bietet in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten Workshops an, in denen die Jungen und Mädchen die eigene Bubble verlassen. Sie gehen zum Beispiel in Gefängnisse, um sich dort mit den Insassen auszutauschen.

© imago/foto2press/Oliver Zimmermann
Sie waren kürzlich bei einem Austausch mit Außenministerin Annalena Baerbock, die einst selbst Trampolinspringerin war und auch gerne zu den Spielen des Bundesligisten Turbine Potsdam geht. Hatten Sie dadurch schnell einen Draht zu ihr?
Ja, wir hatten sofort eine gemeinsame Ebene. Der Sport verbindet uns. Man kann über den Sport auch eine Brücke zur Außenpolitik bauen, um sportliche Werte über die Grenzen hinauszutragen.
Was bedeutet das in der Praxis?
Fußballerinnen aus Deutschland könnten sich zum Beispiel mit Fußballerinnen aus Saudi-Arabien austauschen. Beide Seiten könnten voneinander lernen und sich gegenseitig empowern.
Annalena Baerbock hat kürzlich ihre Unterstützung für die Olympischen Spiele 2040 bekräftigt. Als ehemalige Olympiateilnehmerin sehe ich die Ausrichtung der Spiele in Deutschland als große Chance. Das Ganze könnte kulturell und gesellschaftlich großen Einfluss haben und obendrein die Wirtschaft ankurbeln.
Es ist falsch zu denken, dass man eh keinen Einfluss hat. Jeder kann in seinem Kiez, in seiner Kommune etwas bewirken.
Tabea Kemme
Was fordern Sie von der nächsten Bundesregierung?
Die Absicherung aller Athlet:innen, unabhängig von der Sportart. Jeder Bundeskaderathlet und jede Bundeskaderathletin sollte vertraglich abgesichert sein und eine Arbeitsversicherung und eine Krankenversicherung erhalten. Außerdem braucht es bessere Schutzkonzepte gegen Gewalt. Seit 2022 wurden im organisierten Sport über 230 Fälle von sexualisierter und psychischer Gewalt gemeldet.
Ich würde mir auch einen transparenteren Umgang mit Geldern wünschen.
Inwiefern?
Der Deutsche Olympische Sportbund wird vom Bund mitfinanziert. Fraglich ist, wo diese Gelder bleiben. Bei den Athlet:innen und Trainer:innen kommt wenig an. Das ist wie eine Blackbox. Deshalb braucht es absolute Transparenz und eine Nachvollziehbarkeit von Geldströmen.
Bekommen Sie für Ihre politischen Statements auch Kritik?
In den sozialen Medien erlebe ich auf jeden Fall Pöbeleien. Aber die positiven Nachrichten überwiegen. Viele bedanken sich dafür, dass aus dem Sport politische Statements kommen.
Was wünschen Sie sich in den Wochen vor der Bundestagswahl von anderen Sportler:innen?
Dass wir unsere Reichweite bestmöglich nutzen. Dass wir an die Menschen appellieren, sich zu informieren und eine demokratische Partei zu wählen. Dass wir unsere Stimme erheben und als Multiplikator fungieren.
Es ist falsch zu denken, dass man eh keinen Einfluss hat. Jeder kann in seinem Kiez, in seiner Kommune etwas bewirken. Wir dürfen jetzt nicht einknicken. Manchmal braucht es ein, zwei Menschen, die vorneweg laufen, damit andere sich trauen, hinterherzulaufen.