Role Model einer modernen Frau : Georg Kolbe Museum feiert Tilla Durieux
Als Figur der Theater- und Filmgeschichte gilt die legendäre Tilla Durieux allemal. Aber wer weiß, dass die Durieux – und nicht Sarah Bernhardt, die Duse oder gar Marilyn Monroe – die wohl meistporträtierte Schauspielerin der Kunstgeschichte war?
Tatsächlich wurde die 1880 in Wien geborene, 1971 in Berlin gestorbene Tilla Durieux von Franz von Stuck und Paul Slevogt, von Oskar Kokoschka, Max Beckmann, Ernst Barlach, Lovis Corinth, Emil Orlik und vielen anderen gezeichnet und gemalt. Bis hin zum greisen Großmeister Auguste Renoir, der, selbst schon im Rollstuhl, Durieux 1914 in Paris in einem ihrer Theaterkostüme verewigt.
Renoirs Gemälde hängt heute im New Yorker Metropolitan Museum und kann jetzt in der Ausstellung „Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen“ im Berliner Kolbe Museum aus konservatorischen Gründen nicht gezeigt werden.
Aber die von der Wiener Kuratorin und Durieux-Expertin Daniela Gregori vom Leopold Museum Wien nun in aktualisierter Form nach Berlin gebrachte Präsentation ist mit ihren 200 Exponaten ohnedies ein Ereignis.
Ein frühes Role Model einer modernen Frau
Sie zeigt die Durieux als das frühe Role Model einer modernen Frau. Sie wusste sich durchzusetzen, sie konnte spielen, tanzen, Kostüme schneidern, sie rauchte schon mal Zigarren, fuhr früh Auto und bestieg Ballons und erste Flugzeuge und hat später außer ihren Memoiren auch einen Roman und ein Theaterstück geschrieben.
Mit 16 entflieht Ottilie Godeffroy aus dem bürgerlichen Wiener Elternhaus ins eher anrüchig geltende Schauspieler(innen)-Milieu und nennt sich mit Rücksicht auf die Familie in Anlehnung an den hugenottischen Namen einer Verwandten von da an Tilla Durieux.
Nach Anfängerrollen in Olmütz und Breslau wird sie in Berlin schnell zum Star: seit sie 1903 als raffiniert dünn bekleidete Salomé in Max Reinhardts Uraufführung des damals skandalisierten, von der Zensur in England noch verbotenen gleichnamigen Oscar-Wilde-Stücks Furore macht.
Porträtiert als magische Verführerin
Einige Jahre später ist sie in Berlin als Calderóns Zauberin Circe einmal mehr ein Magnet und wird vom Münchner Malerkönig Franz von Stuck („Die Sünde“) als magische Verführerin mit lasziv diabolischem Lächeln porträtiert. Gleich im Entree der Ausstellung im Kolbe Museum fällt der Blick jetzt auf drei Varianten der Stuck’schen Faszination an Durieux.
Im hellen Ateliersaal folgen dann etliche Skulpturen, meist Köpfe der Schauspielerin, die bei Ernst Barlachs nun stärker von geistiger als nur erotischer Begeisterung zeugen. Denn die Durieux war ja ein ganz eigener Kopf. Tilla erschien zunächst als Diva und Dämon, wurde aber immer stärker eine der Kunst und Literatur zugewandte wie auch politisch denkende Frau.
Noch im Ersten Weltkrieg unterstützt sie die Sozialistin Rosa Luxemburg, versteckt 1919 bei sich zu Hause den flüchtigen Räte-Revolutionär und Dichter Ernst Toller und engagiert sich gegen Ende der Weimarer Republik für die links-avantgardistische Piscator-Bühne.
Zu allem gibt es hier viele Fundstücke, angefangen mit dem Gemälde, auf dem sie in leicht Klimt’scher Manier ihr erster Ehemann, der Maler Eugen Spiro, noch als elegante „Dame mit Hund“ darstellt. Das 1905 gemalte Bild, das Spiro nach der Scheidung von Tilla gegen ein Klavier weggab, war seit 1907 nie mehr ausgestellt worden. Indes spiegeln Manuskripte, Filmausschnitte, Kostümpuppen und seltenen Fotodokumente auch eine Figur der Zeit- und Weltgeschichte.
Schon mit ihrem zweiten Ehemann, dem großen Kunsthändler und Netzwerker Paul Cassirer, gerät Durieux in einen europäischen Kulturkontext. Cassirer, mit dem sie im zumeist vom jüdischen Großbürgertum geprägten Berliner Tiergartenviertel mit Cezanne und van Gogh an den Wänden residiert, ist ihre Lebensliebe. Die dennoch zerbricht.
Beim Scheidungsprozess 1926 schießt sich Cassirer noch im Gericht in die Brust und verstirbt kurz darauf. Hernach heiratet Durieux den gleichfalls jüdischen Unternehmer Ludwig Katzenellenbogen, doch nach der NS-Machtergreifung muss das Paar fliehen.
Die dramatische Odyssee des Exils führt, zwischen einzelnen Gastspielen und zwei Jahren als Direktorin eines Hotels in Dalmatien, zum Untertauchen in Zagreb und Belgrad. Katzenellenbogen wird verhaftet, ins KZ Sachsenhausen deportiert und stirbt 1943 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin.
Durieux schreibt ein Stück „Zagreb 1945“, kehrt erst 1952 als Grande Dame der Bühne und auch in Film und Fernsehen zurück. Im Stadtmuseum von Zagreb gibt es noch heute ein „Tilla-Durieux-Zimmer“, ihr Berliner Ehrengrab auf dem Friedhof an der Heerstraße, nahe dem Kolbe-Museum, aber trägt mit dem 21. Januar 1971 ein falsches Todesdatum. Denn sie verstarb am 21. Februar, an Paul Cassirers 100. Geburtstag.