Silbrig glänzende Erinnerungen

Konzentrierter Blick in den Spiegel. Dann ein halb-blinder Blick ins Leere. Darüber wirbeln Haare und Arme um den Kopf. Zum Schluss: der Dutt. Diese Reihung ist eine von vielen, die Christa Mayer in ihrer neuen Ausstellung: „Meine Mutter, meine Schwester und ich“ im Haus am Kleistpark ausstellt. Wie fast alle Fotos in den drei Räumen, sind die Bilder ihrer alten Mutter vor dem Spiegel Silber-Gelatine-Prints.

Die Fotografin, die durch ihre Aufnahmen aus der Langzeitpsychatrie am Wannsee bekannt wurde, stellt im Haus am Kleistpark noch nie veröffentlichte Selbstportraits neben Bilder von ihrer Mutter und ihrer Schwester. Es ist eine intime Reise in die Beziehung zwischen zwei Generationen von Frauen, zwischen Mutter und Töchtern. Dazu gehören auch Bilder von Ausflugsorten oder Details aus ihrer Wohnung. Ihr Schwester, eine Nonne, wandelt unter den Bäumen ihrer Kindheit. Selbst die Stillleben werden in den silbrigen Drucken so lebendig wie eine Filmszene.

Geboren im letzten Kriegsjahr

Mit dem gleichen konzentrierten Blick sitzt Christa Mayer in der Ecke der Galerie, trinkt Tee und unterhält sich über die Fotos. Sie wurde im letzten Kriegsjahr geboren. Ihre Mutter war Zimmermädchen in dem Hotel, das der Vater führte. Der Vater war ihr Vorbild. „Ich wollte auf keinen Fall so sein, wie meine Mutter. Ich fand sie nicht modern, nicht attraktiv … Sie hatte so eine Fraulichkeit, und dann kam die Emanzipation und die marxistische Bewegung. Und da habe ich mich ein bisschen über sie erhoben.” Die Fotografin wurde Psychotherapeutin, nebenbei fotografierte sie. Ihr Handwerk erlernte sie an der bekannten Kreuzberger Werkstatt für Fotografie: „Ich bin immer singend nach Kreuzberg gefahren.“

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So richtig kennengelernt habe sie ihre Mutter erst, nachdem der Vater gestorben war, Mitte der Achtziger. „Da fand ich sie dann ganz toll, mit ihren Geschichten und Wundern. Ich habe ihre Schönheit entdeckt und sie wurde auch immer schöner.“ Aufgewachsen in Oehrberg in der Röhn, kannte die Mutter unzählige Überlieferungen des Dorfes und der Umgebung. Zum Beispiel ging die Legende um, dass die Tiere an Weihnachten sprechen könnten. Ein Bauer, Hermann, ging dann eines Nachts in den Stall, um die Legende auf den Prüfstein zu legen und just um 12 Uhr sagte eine Ochse zum andern: „Heute Abend stirbt der Hermann.“ Und am selben Abend sei er, so die Überlieferung, tatsächlich gestorben.

Märchen und Bibelverse

Einige dieser Geschichten hat die Fotografin in einem Film festgehalten, der im Eingangsbereich läuft. Zu ruhigen, italienisch-neorealistischen Bildern hört man die klare Stimme der Mutter, die unbekümmert erzählt. In die kleinen Märchen sind immer wieder auch Bibelverse verflochten. Am Ende des Films singt Christa Mayer ein italienisches Frauenkampflied.

[Haus am Kleistpark; Bis 13. März; Di – So, 11 – 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, Eintritt frei]

Die Mutter starb im Jahr 2000. Die Ausstellung sei für die heute selbst alte Fotografin auch eine Art Revuepassieren gewesen. Sie erinnert sich: „Kurz vor ihrem Tod, bin ich hinter ihrem Rollstuhl hergerannt mit meinem Aufnahmegerät, und da musste sie lachen, weil ich so vernarrt war, in ihre Geschichten.“ Christa Mayer sagt, dass sie regelrecht in sie hineingekrochen sei.