Feministisches Kino: Erst umjubelt, dann vergessen

Weltweit kämpfen Regisseurinnen für größere öffentliche Anerkennung und Präsenz bei Förderentscheidungen und Festivals. Auch in der institutionalisierten Filmgeschichte ist der den Geschlechtern gewährte Raum höchst ungleich verteilt. Aber auch hier gibt es mittlerweile vielfältige Bestrebungen, die Aufmerksamkeit auf das weibliche Filmschaffen in der Forschung, in Retrospektiven und Archiven zu erhöhen. Dennoch stehen in der Mitte August veröffentlichten Förderliste der Filmförderanstalt zur Digitalisierung des Filmerbes immer noch 55 Projekten von Regisseuren ganze sieben von Regisseurinnen gegenüber.

Ein Roadmovie durch die Kinogeschichte

Die Erkenntnis, dass Filmgeschichte „sexistisch durch Auslassung“ ist, steht auch hinter einem 14-stündigen Kompilationsfilm von 2018, der in drei Teilen, vierzig Kapiteln und unzähligen Filmclips das Publikum auf ein „neues Roadmovie durch das Kino“ mitnimmt. Neu, weil in „Women Make Film“ ausschließlich Filme von Regisseurinnen im Fokus stehen. Und dabei auch darauf verzichtet wurde, wieder die bekannten Namen in den Vordergrund zu stellen. (Ausnahmen sind Kathryn Bigelow und Leni Riefenstahl.)

Wichtiger sind die vielen Wiederentdeckungen einstmals auf Festivals gefeierter und dann vergessener Filme aus aller Welt. Mit Mark Cousins steht hinter dem kämpferisch auftretenden Film neben Produzentin Tilda Swinton übrigens ein Regisseur. Gegliedert ist „Women Make Film“, der ebenfalls gezeigt wird, interessanterweise nicht chronologisch oder nach Genres, sondern nach cineastischen Motiven. So gibt es (reichlich illustrierte) Kapitel etwa zum Aufbau von Filmanfängen, zur Herstellung von Glaubwürdigkeit, zur Montage oder zur narrativen und finanziellen Ökonomie.

„Feel free to be angry, but feel free also to be delighted“ lautet das Motto. Entzückt sein kann man auch über das umfangreiche, vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Projekt „Women Make Film“ des Arsenal Instituts, in dem die Kuratorin Annette Lingg in Anlehnung an Cousins noch bis Mitte Dezember 13 im Film präsentierte Regisseurinnen vorstellt. Den Anfang des zweiten Blocks macht die polnische Regisseurin Wanda Jakubowska, von der vier Filme im Programm gezeigt werden.

In „Die letzte Etappe” von 1947 verarbeitete Jakubowska zwei Jahre nach Ende des Krieges ihre eigene Gefangenschaft im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Dafür ging sie mit der Kamera an den Ort der Verbrechen zurück und realisierte dort nach ausgiebigen Recherchen mit ehemaligen Mithäftlingen ein realistisches Drama über den Widerstand im Lager. Es ist der bekannteste Film der 1907 geborenen Regisseurin, dem in den nächsten fünfzig Jahren noch zwanzig weitere folgen sollten. Dabei zeigte sich Jakubowska trotz Anfängen im Experimentalfilm in ihrem späteren Schaffen als treue Adeptin der Kommunistischen Partei Polens und des von dieser propagierten ästhetischen Programms.

Eine Szene aus Dinara Asanovas Debütfilm „Der Specht zerbricht sich nicht den Kopf“ von 1975.
Eine Szene aus Dinara Asanovas Debütfilm „Der Specht zerbricht sich nicht den Kopf“ von 1975.
© Foto: Arsenal

Ganz anders die 1942 in Kirgistan geborene und an der Moskauer Filmhochschule ausgebildete Dinara Asanova, die vor ihrem frühen Tod 1985 neun Spielfilme eher am Rande des staatlichen Filmsystems realisierte. Diese standen thematisch und formal für Aufbruch und jugendliche Unangepasstheit und setzten mit dem Einsatz von Laiendarstellern und zeitgenössischer populärer Musik starke atmosphärische Akzente. Wie bei Jakubowska ist dabei auch Asanovas oft semidokumentarisch anmutender Ansatz heute erstaunlich zeitgemäß. Ihr Debütfilm „Der Specht zerbricht sich nicht den Kopf“ von 1975 ist eine luftige impressionistische Studie um einen Teenager, der mit seiner Leidenschaft für das Schlagzeug in seiner Umgebung auf wenig Begeisterung stößt.

(Das zweite Programm läuft bis zum 29. Oktober im Kino Arsenal)

Fast ganz jenseits des staatlichen Filminstitutionen agierte Ana Mariscal in Spanien, die ihren Lebensunterhalt als Schauspielerin bestritt und ihre insgesamt zehn Regiearbeiten mit ihrer Produktionsfirma Bosco Films weitgehend aus eigenen Ersparnissen realisierte. 1963 drehte sie mit „El Camino“ („Der Weg“) eine als Coming-of-Age-Geschichte erzählte Studie über das repressive patriarchale Klima des ländlichen Spaniens, die – wenig überraschend – von der franquistischen Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wurde. Erst 2021 erlebte der Film beim Filmfestival von Cannes seine Wiederaufführung mit einer digital restaurierten Kopie.

Das Arsenal-Projekt „Women Make Film“ wird noch bis zum 18. Dezember fortgesetzt. Es ist eine seltene Gelegenheit, weiterhin marginalisierte Arbeiten von Regisseurinnen wie der Brasilianerin Gilda de Abreu, der ersten sri-lankischen Filmemacherin Sumitra Peries, der indischen Pionierin Marva Nabili und der 2002 verstorbenen Astrid Henning-Jensen zu entdecken.

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