Das Leben in der Antike war voller Musik
Es war ein Zufall, dass eine kleine Gruppe von Adligen, Dichtern und Musikern im Florenz des späten 16. Jahrhunderts die Kunstgattung der Oper erfand. Dann eigentlich hatten die intellektuellen Herren nur die griechische Tragödie wiederbeleben wollen. „Und zwar in der Form des späten 5. Jahrhunderts vor Christus, als aus den reinen Schauspielen zu Ehren des Gottes Dionysos hybride Gesamtkunstwerke geworden waren, in denen Sprache, Gesang und Tanz gleichberechtigt nebeneinanderstanden“, wie Agnes Schwarzmaier erklärt, eine der Kurator:innen der Ausstellung „Klangbilder“, die jetzt auf der Museumsinsel Einblicke in die Musik im antiken Griechenland wie auch im pharaonischen Ägypten gewährt (beide Ausstellungen laufen bis zum
3. Juli 2022, Neues Museum: Di – So, 10 – 18 Uhr, Sonderausstellung im Alten Museum, Di – So, 11 – 18 Uhr).
Im Laufe der Zeit gingen die Protagonisten der Tragödien immer mehr dazu über, ihre Monologe zu singen, effektvoll mit Verzierungen anzureichern. Manche von ihnen hatten so viel Erfolg damit, dass sie zu reisenden Virtuosen werden konnten, die überall im Land bei Festveranstaltungen gefragt waren.
Doch nicht nur im Theater, auch bei sportlichen Wettkämpfen, religiösen Ritualen, politischen Versammlungen, Gerichtsverfahren und in kriegerischen Auseinandersetzungen, ja sogar beim Essen spielte Musik eine wichtige Rolle, betont Agnes Schwarzmaier. Das Alltagsleben der Griechen war von den Klängen des Aulos geprägt, eines Holzblasinstruments mit zwei gleichzeitig gespielten Rohren, von der Lyra, deren Resonanzkörper aus einem Schildkrötenpanzer bestand, von der vornehmen und schwer zu spielenden Kithara, vom Klang der Harfen, Tamburine, Klappern, Zimbeln, der trompetenartigen Salpinx und der Panflöte Syrinx.
Musik war so wichtig wie Lesen und Schreiben
Praktisches Musizieren wurde in den Knabenschulen als genauso wichtig wie Lesen, Schreiben und Rezitieren angesehen. Denn Männer aus gehobenen Kreisen sollten in der Lage sein, beim Symposium, dem festlichen Gastmahl, neben gedanklichen auch kulturelle Beiträge zu leisten. Und an den großen Chorwettbewerben teilzunehmen, den Dithyramben. Mädchen, die vom Besuch des Gymnasiums ausgeschlossen waren, erhielten im häuslichen Umfeld von weiblichen Verwandten Unterricht in Tanz und Instrumentalspiel.
Wie die Musik der alten Griechen klang, weiß allerdings keiner mit Sicherheit. Weil es zwar jede Menge bildliche Darstellungen gibt, aber kaum Zeugnisse von Notenschrift. Aus den wenigen Fragmenten haben Wissenschaftler zwar immer wieder versucht, praxistaugliche Rekonstruktionen zu entwickeln, doch letztlich bleiben auch sie Spekulation. In der Sonderausstellungshalle des Alten Museums, die jetzt den „Klangbildern“ gewidmet ist, wird ein Video gezeigt, in dem ein Oxford-Professor mit Verve seine Schlussfolgerungen verteidigt und dann auch mit Studierenden im Konzert vorführt.
Bis zu 5000 Jahre alte Instrumente
Der Hauptakzent aber liegt auf den Darstellungen von singenden und musizierenden Menschen, die sich auf attischen Vasen erhalten haben. Betörend schöne, perfekt erhaltene Fundstücke aus dem überreichen Bestand des Hauses sind da zu sehen, meisterlich ausgeführt in der charakteristischen rot-schwarzen Brenntechnik. Bei der Schwesternausstellung im Neuen Museum gegenüber liegen dagegen vor allem ägyptische Musikinstrumente in den Vitrinen. Sie sind bis zu 5000 Jahre alt und haben sich dank des trockenen Wüstenklimas oft in perfektem Zustand erhalten.
Besonders faszinierend sind Klappern aus Holz und Elfenbein, die in Form von menschlichen Händen geschnitzt sind. Skurril muten dagegen die Sistren an: An einem Griff ist ein länglicher Bronzebügel befestigt, durch den mehrere s-förmige Haken gesteckt sind, an denen wiederum kleine Metallplättchen befestigt waren. Sie wurden vor allem bei Kulthandlungen für die Göttin Isis benutzt.
Rare Fragmente von Notenschrift
Auch in Ägypten spielte Musik in allen Lebenslagen eine wichtige Rolle, sagt Marius Gerhardt, Kurator der Papyrussammlung. Musiker und Musikerinnen sind auf den Wänden der Gräber und Tempel häufig zu sehen. Oft tanzen auch Frauen zu den Klängen von Schrägflöten, Winkelharfen, Lauten, Doppelklarinetten aus Pfahlrohr und Leiern mit kastenförmigen Resonanzkörpern. Sänger wiederum sind daran zu erkennen, dass sie sich symbolisch eine Hand ans Ohr halten.
Stolz zeigt Marius Gerhardt das Prunkstück der Sonderausstellung im Alten Museum, ein Papyrus, auf dem sich durch einen glücklichen Zufall einige Notenfragmente erhalten haben. Eigentlich war das Blatt im Jahr 156 nach Christus als Militärurkunde in lateinischer Schrift angelegt worden, die Rückseite nutzte dann aber ein Musiker, um sowohl religiöse Gesänge als auch instrumentale Zwischenspiele zu skizzieren. Notenlinien gibt es noch nicht, die Töne werden jeweils durch Buchstaben des griechischen Alphabets dargestellt. Mit ein paar Sonderzeichen sowie auf den Kopf gestellten Buchstaben lassen sich mit dieser Methode Melodien sogar über mehrere Oktaven schriftlich fixieren.