Heinrich-Mann-Preis: Autokraten versus Demokraten

Wann sich die Rede vom eskalierenden Konflikt zwischen autoritären und demokratischen Regimen als Beschreibung der aktuellen weltpolitischen Lage einschlich, lässt sich kaum mehr sagen. Ihre mit Showdown-Thrills amerikanischer Provenienz aufgeladene Allgegenwart hat die Metapher vom Kalten Krieg abgelöst.

Mit der Auflösung des Ostblocks wurde diese hinfällig und bezeichnet nunmehr allenfalls das Verhältnis zwischen den USA und China. Ob es, unter Anspielung auf eine verblasste sozialistische Idee, tatsächlich eine „Neue Internationale der Autoritären“ gibt, wie sie der Publizist Marko Martin in seiner Laudatio auf den diesjährigen Heinrich-Mann-Preisträger György Dalos am Dienstagabend in der Akademie der Künste beschwor, ist jedoch fraglich.

Viktor Orbán, dem Dalos sein jüngstes Buch „Das System Orbán – Die autoritäre Verwandlung Ungarns“ gewidmet hat, mag in seiner Stiernackigkeit einige Züge mit Wladimir Putin und Xi Jinping teilen und beiden allzu freundschaftliche Signale gesendet haben. Die drei in eine Reihe zu stellen, heißt aber nicht nur, die unterschiedlichen Dimensionen ihrer Machenschaften vom Korrupten bis zum Genozidalen zu nivellieren. Es bedeutet, im Namen autokratischer Oberflächenstrukturen die historischen Tiefen zu leugnen, aus denen sich ihr jeweiliges Handeln speist.

Die Vergangenheiten, aus denen sie die Zukunft ihrer Länder schmieden wollen, verbindet höchstens eine verlorene Größe. Bei China kommt ein Maximum an kultureller Differenz dazu. Wo Orbán, Xi und Putin Allianzen bilden, handelt es sich um Zweckgemeinschaften, während Demokratien westlichen Typs sich untereinander umso stärker als Wertegemeinschaften inszenieren, je zersplitterter sie nach innen sind.

In seiner Dankesrede erinnerte sich Dalos an die heimliche Lektüre von Heinrich Manns „Professor Unrat“ unter der Schulbank. In Dezsö Kosztolányis vom Erdkundelehrer bald konfiszierter Übersetzung entdeckte der 14-jährige Allesleser inmitten der revolutionären ungarischen Wirren 1956/57 ein frühes Stück widerständigen Denkens.

Drei Jahrzehnte führte es ihn zum Schreiben einer verlagspleitenbedingt nie veröffentlichten Biografie von Marlene Dietrich: In Josef von Sternbergs „Unrat“-Verfilmung „Der blaue Engel“ spielt sie die Hauptrolle. Erfahrungen, die man jenseits aller großen politischen Linien nicht unterschätzen sollte: Für Heinrich Mann wie für György Dalos konvergierten sie zu verschieden dunklen Zeiten in der Not zum Exil.

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