Für mich und meinen Kopf gibt es keine andere Möglichkeit!

Am 24. August sollen die Paralympischen Spiele in Tokio beginnen. Mit am Start wird die Berlinerin Maria Tietze sein. Die inzwischen 31-Jährige begann einst mit dem Fußball als Sportlerin und ist nach einem Unfall und einer Amputation am linken Unterschenkel nun Paralympionikin. An dieser Stelle erzählt die Sprinterin und Weitspringerin monatlich über ihren Weg nach Tokio.

Neulich habe ich mal wieder mit meinem Opa telefoniert. Er erzählt mir immer häufiger, dass er und Oma es vermissen, zum Sport gehen zu können. Die Schwimmbäder und Fitnessstudios seien ja schon so lange geschlossen. Ich fühle mit ihm, weil ich durchdrehen würde, könnte ich keinen Sport machen.

Und mal eben durch die Berliner Parks zu joggen ist für meine Großeltern halt auch keine Option mehr. Umso glücklicher schätze ich mich in diesem Moment, dass ich persönlich von den Sport-Einschränkungen recht wenig getroffen wurde.

Zwar läuft das Training im Grunde wie vor der Pandemie, aber wenn es um Wettkämpfe geht, spüren auch wir noch den vollen Hammer.

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Kürzlich wurde ein geplanter Wettkampf mit nur zwei Tagen Vorlauf spontan gestrichen, weil die Stadt ihr Okay für eine relativ große Veranstaltung nicht gegeben hatte. Es wäre die dritte Standortbestimmung der Freiluftsaison gewesen. Es folgen auch nur noch zwei weitere Wettkämpfe, dann ist die Saison erst einmal wieder vorbei.

Das ist natürlich eine bittere Situation. Dieses Mal jedoch hatten wir Glück. Wir starteten kurzfristig bei den Ruhr Games und hatten sehr gute Bedingungen mit nicht allzu großen Starterfeldern. Wenn wir dann Mitte Juni und Ende des Monats noch je einen Wettkampf machen, waren es derer fünf vor den Spielen in Tokio. Viel ist das nicht. Dafür waren sie ganz gut über die Zeit verteilt.

Und mittendrin bin ich

Ob Tokio stattfindet? Natürlich – für mich und meinen Kopf gibt es keine andere Möglichkeit. Wobei… Bis zur Eröffnungsfeier am 24. August ist es nicht mehr lang hin. Die Planung für die Einkleidung beginnt, mögliche Termine für den Abflug nach Japan schwirren durch die Gegend, die Bekanntgabe der Nominierungen rückt immer näher. Und auch rund ums Training ist Tokio mehr und mehr Thema.

Die Einen sagen, dass sie beim bloßen Gedanken an die Paralympics jetzt schon nervös werden und am liebsten gar nichts davon hören wollen. Die Anderen sehen schon ihre neue Medaille vor dem geistigen Auge.

Wieder Andere fragen sich noch, ob wohl alles stattfinden kann – während die Japaner doch gerade so viele Unterschriften für ihre Petition sammeln. Und mittendrin bin ich.

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Die Maria, die vor Pupswettkämpfen teilweise vor Anspannung kaum ansprechbar ist. Ich bleibe dabei, dass die Olympischen und Paralympischen Spiele stattfinden werden. Aber es gibt ein kleines Hintertürchen in meinen Gedanken. Daran hängt ein Schild: „Abgesagt“. Sehen kann ich diese Tür nur, wenn ich ganz genau hingucke und alle Möglichkeiten erkennen möchte.

In dieser Angelegenheit möchte ich das selten. Ich möchte mich auf das Training und die paar Wettkämpfe konzentrieren, ohne Wenn und Aber. Trotzdem ist es genau dieses Türchen, dass für Ruhe in mir sorgt. Glaube ich zumindest. Denn solange es da ist, muss ich mich ja gar nicht verrückt machen. Solange kann ich alles auf mich zukommen lassen. Solange bin ich auf das Ziel fokussiert.

Wir reden also wieder über das Wetter

Auch mein Opa wollte von mir wissen, ob wir nun nach Japan fliegen oder nicht. Wobei er die Japaner:innen ja gar nicht verstehe. So ein Wahnsinnsereignis könne man doch nicht absagen wollen. Dabei gehe es doch nicht einfach darum ein bisschen Sport zu gucken. Es gehe um ein Miteinander, das könnten sie doch nicht abblasen.

Wie er es fände, wenn derzeit Leute aus aller Welt mal eben nach Deutschland kämen? Den Einwand lies er gelten. Dass er einfach nur nicht möchte, dass seiner Enkelin die Möglichkeit zur Teilnahme an den Paralympics genommen wird, wäre ihm auch zuzutrauen. Ein Mann der alten Schule sagt nicht unbedingt immer das laut, was er auch meint.

Wir reden also wieder über das Wetter, wie es dem Rest der Familie so geht und wann wohl die Schwimmbäder wieder für Gruppen öffnen. Denn ich werde mich auch freuen, wenn Oma und Opa sich irgendwann wieder mit ihren Freunden im Wasser bewegen dürfen.