Turn-EM in Antalya: Zwei Lichtblicke und viele Sorgen
Elisabeth Seitz bediente scherzhaft ein schwäbisches Klischee: Die Einladung zum Umtrunk gab’s in ein All-Inklusive-Hotel. Die erfahrene Stuttgarterin hatte mit Platz drei am Stufenbarren ebenso allen Grund zum Feiern wie der junge Milan Hosseini mit seinem Überrschungs-Bronze am Boden. In die Freude über die beiden Medaillen mischte sich beim Deutschen Turner-Bund (DTB) in der Bilanz der Europameisterschaften von Antalya aber auch Sorge um die Olympia-Reife seiner Frauen-Riege. Platz neun im Team-Wettbewerb, aber insbesondere der immense Punkteabstand zu den Top-Mannschaften waren das sprichwörtliche Wasser im Wein.
„Wir sind in der Spur, aber es gibt auch noch viel zu tun. Der neunte Platz bei den Frauen ist nicht unser Anspruch. Da läuft schon die Analyse. Wir fahren nach Hause und wissen, was zu tun ist“, sagte DTB-Sportdirektor Thomas Gutekunst und kündigte eingehende Analysen an. „Wir hatten als Minimalziel die Quali für die Weltmeisterschaft ausgerufen, um eben im Topf für Paris zu bleiben. Das haben wir erreicht. Wir können das alles sehr realistisch einschätzen.“
Während die Männer mit Platz fünf im Team-Wettbewerb auch ohne den noch im Aufbautraining befindlichen deutschen Mehrkampf-Meister Lukas Dauser (Unterhaching) im Soll liegen, blieben die Frauen hinter den Erwartungen zurück. Nahezu sieben Punkte Rückstand zu Rang drei haben auch Bundestrainer Gerben Wiersma alarmiert. Speziell am Schwebebalken, wo Titelverteidigerin Emma Malewski (Chemnitz) schon in der Qualifikation gescheitert war, offenbarten seine Schützlinge große Defizite. „Ich wäre beunruhigt, wenn es so bei der WM wäre, wo es um die Olympia-Qualifikation geht“, sagte der Niederländer mit Blick auf die Weltmeisterschaften im Herbst in Antwerpen.
Dort werden die Startplätze für Olympia in Paris vergeben. „Das wird eine spannende Zeit mit jeder Menge Arbeit. Das ist eine große Herausforderung für das Team“, meinte Wiersma. Im Fokus steht die sogenannte D-Note, die die Schwierigkeit eine Übung wiedergibt.
Gutekunst vertraut darauf, dass bis zur WM das Niveau – wie auch von Wiersma gefordert – angehoben werden kann. „Ich bin zuversichtlich, dass wir dann in Antwerpen gerade auch im Frauen-Bereich ein anderes Gesicht im Team zeigen. Bei den Männern haben wir schon einen sehr guten Team-Wettkampf gezeigt“, sagte der Sportdirektor und fügte versöhnlich an: „Wir haben Höhen und Tiefen dabei gehabt. Gerade die zwei Medaillen, aber auch der Auftritt von Pascal Brendel im Mehrkampf-Finale lassen uns zufrieden nach Hause fahren.“
Elisabeth Seitz weiß, dass auch für sie noch viel zu tun ist
Der erst 19 Jahre alte Brendel aus Wetzlar hatte bei seinem EM-Einstand im Mehrkampf einen starken achten Rang erkämpft. Am vorletzten Wettkampftag toppte der zwei Jahre ältere Hosseini (Böckingen) mit seinem couragierten Auftritt am Boden dessen Resultat. 14,200 Punkte wurden mit Bronze belohnt. „Besser hätte ich mir meine erste EM gar nicht vorstellen können“, sagte der 21-Jährige. Mit der Vorstellung bei seiner EM-Premiere überzeugte er auch den kritischen Bundestrainer. „Man hat gesehen, er brennt. Er wollte unbedingt ins Finale und jetzt steht er hier mit einer Medaille – Wahnsinn, die Gefühle sind unbeschreiblich“, sagte Valeri Belenki.
Elisabeth Seitz, die nach dem Titel vor acht Monaten bei der Heim-EM in München erneut eine Medaille an ihrem Spezialgerät Stufenbarren gewonnen hat, fährt glücklich zurück nach Hause, weiß aber auch um die bevorstehenden Aufgaben. „Ich wollte einfach nur durchturnen, und dass es dann am Ende wieder für einen Podestplatz reicht, freut mich besonders“, sagte die 29-Jährige.
Nun will sie sich mit Blick auf die Olympia-Qualifikation in Antwerpen auch an den anderen Geräten verbessern und zum Beispiel beim Sprung eine zweite Schraube einbauen. „Das brauchen wir bei der WM auf jeden Fall. Es steht viel Arbeit bevor: Barren perfektionieren, Sprung die Doppelschraube, Boden wieder eine gute Übung, Balken stabilisieren“, sagte die deutsche Rekordmeisterin.