Festakt der Akademie für Sprache und Dichtung: Spinnen im Elternhaus
Sprache, so erfährt man bei dieser Preisverleihung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, ist eine ernste, hochpräzise Angelegenheit. Jedenfalls gibt es einen minutengenauen Ablauf der Veranstaltung im Darmstädter Staatstheater. Im Vorfeld wird schriftlich um Verständnis dafür gebeten, „dass es kleine Abweichungen geben kann“. Mit größeren Änderungen rechnet die Akademie offenbar ohnehin nicht. Und so ist der Festakt in diesem Jahr auch exakt eine Minute vor der angegebenen Uhrzeit beendet.
Die seltsam perfektionistische Organisation passt gut zu einer schmucklosen Veranstaltung, auf der schon ein struppiges Blumengebinde auf der Bühne aus dem Rahmen fällt. Keine Musik, keine neumodischen Gesprächsformate stören den dreimaligen Wechsel von Laudatio, Überreichung der Urkunden und Dankesrede.
Als Zeremonienmeister erlaubt sich Akademie-Präsident Ernst Osterkamp zwar die eine oder andere flapsige Bemerkung zur akribischen Einhaltung der Programmpunkte. In seiner kurzen Publikumsbegrüßung beschreibt er aber mit strenger Miene zunächst einmal die existenzbedrohlichen Krisen im Kulturbetrieb, ausgelöst durch die Pandemie und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Damit ist der Saal stimmungsmäßig vorbereitet auf die erste Lobrede des Abends, wobei der in Rotterdam geborene Architekt Rem Koolhaas warnt, die Niederländer hätten „keine Tradition des Lobens“. Ohnehin sei es ein großes Risiko, ihn eine Laudatio auf den Architekturjournalisten Niklas Maak halten zu lassen.
Doch das Wagnis hält sich erwartungsgemäß in den überschaubaren Grenzen westeuropäischer Intellektualität: Kohlhaas spielt mit antiker Rhetorik, ohne es zu versäumen, dem Zeitgeist zu huldigen und die Redesituation in Darmstadt zu thematisieren: „Vor Ihnen steht ein weißer Mann, der einen anderen weißen Mann lobt, vor einem Publikum aus vielen weißen Männern …, eine eher verdächtige Situation.“
Die weitgehend ergrauten Herren in den erstaunlich lichten Reihen des Theatersaals nicken pflichtschuldig, und so kann der 1972 geborene, also fast noch jugendliche Maak, der den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay erhält, selbstbewusst von sich erzählen und zwei, drei Anekdoten aus seinem Journalistenleben in seiner Dankesrede unterbringen – ohne unangenehm aufzufallen.
Zum Schluss beklagt er die ökonomischen Bedingungen für die Kultur des Essays: „Durch das Preisdumping im Bereich geistiger Arbeit geht der Gesellschaft das Denken einer ganzen Generation verloren“. Damit ist die kulturpessimistische Grundstimmung wiederhergestellt, wie sie an den meisten Akademie- Abenden herrscht.
Durch das Preisdumping im Bereich geistiger Arbeit geht der Gesellschaft das Denken einer ganzen Generation verloren.
Niklas Maak, Gewinner des Johann-Heinrich-Merck-Preises
Dass Lobreden in Deutschland nicht selten Klageliedern ähneln, kann auch bei der Verleihung des Sigmund-Freud Preises für wissenschaftliche Prosa an die Ethnologin Iris Därmann festgestellt werden. Deren Laudatorin Heike Behrend kommt auf die „Handlungsmacht von Geistern in fremden Kosmologien“ zu sprechen, mahnt gar eine „Indigenisierung westlicher Epistemologien“ an. Manch ein Gast schaut da verträumt zum Blumengesteck, vielleicht ja auch, weil die Form des Buketts an einen Hexenbesen erinnert.
Die mit dem Freud-Preis ausgezeichnete Därmann scheint mit „geistigen Wesenheiten“ aber wenig zu tun zu haben. Sie bedankt sich mit einem Ausschnitt aus ihrer bemerkenswerten Forschungsarbeit und beschreibt einen seltenen Fall „egalitärer Geschwisterlichkeit“ unter sechs Kleinkindern, die das Ghetto Theresienstadt überlebt hatten und nach der Befreiung weiterhin als „Gefühlsgemeinschaft“ zusammen blieben, ohne „Neid, Eifersucht, Rivalität und Wettstreit“. Tatsächlich hätte man Därmann noch stundenlang zuhören können, wie sie auf den Spuren von Anna Freud die Zeitgeschichte als ein Phänomen charakterisiert, das von Erwachsenen „erlitten und gemacht“, „bezeugt und erforscht“ werde.
Das Kuriose an der Darmstädter Preisliturgie besteht nicht nur im steifen Setting, sondern eben auch an der anspruchsvollen Häppchenkost, deren mediale Verbreitung immer wieder auch kritischer Gegenstand der Reden ist. In der Berichterstattung über die renommierten Auszeichnungen geht es leider viel zu oft nur um den sogenannten Höhepunkt, nämlich die Verleihung des mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preises.
Ich kenne in der Literatur deutscher Sprache kein vergleichbares Hybrid aus Dichtung, Prosa und Drama wie dieses, ihr Werk.
Laudatorin Marie Schmidt über die Bücher von Emine Sevgi Özdamar
In diesem Jahr erhält die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar die wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland: Für ihr „bahnbrechendes Werk“, dessen „multiperspektivische Texte neben intimen persönlichen Erfahrungen ein breites Panorama deutsch-türkischer Geschichte entfalten“. Literaturkritikerin Marie Schmidt lobt die Sprachenvielfalt insbesondere in Özdamars monumentalen Buch „Ein von Schatten begrenzter Raum“, wobei es nicht einer gewissen Komik entbehrt, dass sich die Laudatorin ebenfalls in einem begrenzten Raum bewegt.
Anfangs meckert Schmidt ein wenig über das Schubladendenken ihrer Zunft, betreibt dann professionelle Textexegese und schließt mit einem euphorischen Eingeständnis, das viele Klassiker der Literaturgeschichte zur Seite schiebt: „Ich kenne in der Literatur deutscher Sprache kein vergleichbares Hybrid aus Dichtung, Prosa und Drama wie dieses, ihr Werk“.
Wie kunstvoll und gewiss auch „hybrid“ sich die Autofiktion Özdamars gestaltet, beweistdie Büchner-Preisträgerin dann in einer berührenden Ansprache, die ihrer Literatur ähnelt. Sie erzählt von ihrer Kindheit und Jugend, von ihrer Großmutter und den Spinnen im Hause der Eltern, von den Aufbrüchen in den 1960er Jahren und warum Georg Büchner so etwas wie ihr geistiger Bruder ist. Wer die außergewöhnlichen Werke der Autorin kennt, wird sich an die Stilmittel ihrer Theaterstücke und Prosaarbeiten erinnern, und so endet die Preisverleihung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit einem Gefühl der Vertrautheit.
Ernst Osterkamp verabschiedet sich dementsprechend erfreut mit dem Hinweis, im nächsten Jahre werde es in Darmstadt gewiss „wieder so schöne Reden“ zu hören geben. Fast unheimlich wirkt diese ritualhafte Schlussbemerkung auf einer Veranstaltung, die wieder einmal vergangene Kulturtraditionen beschwört.
Der Geist der alten Bundesrepublik weht durch das Theater am Georg-Büchner-Platz. Das erste Foto der Feierstunde, das wenig später auf Facebook zu sehen ist, kann dann auch nur eine Aufnahme der Hexenblumen sein.
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