Performance, Poesie, Politik: Die süße Melodie der Feuerlöscher
Zuerst zum Aufsehen erregendsten Spektakel des Jazzfests Berlin: Wie hört sich eine Ouvertüre für 15 Handfeuerlöscher an? Sven-Åke Johansson, der schwedische Schlagzeuger, Sprach-, Bild- und Performancekünstler und in diesem Fall Komponist und Dirigent, hat sie schon 2003 an der Berliner Akademie der Künste uraufgeführt.
Wenn „MM schäumend“ nun an die Spree zurückkehrt, das einen Fokus auf das Lebenswerk des mittlerweile 79-Jährigen richtet, handelt es sich nicht um die Neuerfindung der Perkussion aus dem Geist der Brandschutzverordnung, sondern um die Reprise eines zeitgenössischen Klassikers.
Zwei einander diagonal gegenüberstehende Reihen von Profimusikern, in der Mitte das Pult des Meisters, der unter Einbeziehung langer Pausen das Signal zum Einsatz gibt. Man hört nicht nur, wie es in unterschiedlichen Konstellationen fünf Minuten lang zischt, braust und schließlich röchelt.
Attacke auf Attacke
Man sieht, wie auf vorsichtige Sprühstöße die massive Gegenattacke mit über die Bühne jagenden Schaumwolken folgt, als würden zwei verfeindete Feuerwehrvölker übereinander herfallen. Vor allem riecht man noch lange nachher, was ihren mit unterschiedlichen Lösungen befüllten Geräten entkreucht.
Ja: Dieses Gesamtkunstwerk ist eine riesige Sauerei. Und: Es ist absurder Quatsch. Zugleich ist es ein Kindern wie Erwachsenen einleuchtender Spaß. Über das bloße Happening hinaus zeichnet er sich dadurch aus, dass Sven-Åke Johansson das von Beginn an aufflammende Gelächter immer wieder mit heiligem Ernst und strenger Geste erstickt. Was Kunst ist, im Unterschied zu einer Schaumparty, entscheidet die Haltung.
Drehen wir, während die Reinigungskräfte die nassen Überreste der Aktion beseitigen, die Drehbühne im Haus der Berliner Festspiele um 180 Grad und besichtigen das Gegenteil: den heiligen Ernst eines Pianotrios, der sich allerdings mit unbändiger Spiellust verbindet. Von diesem Vergnügen hätte man im Lauf dieses 59. Jazzfests, das Nadin Deventer nun zum fünften und vorletzten Mal kuratiert hat, gerne noch mehr erlebt.
Springteufelige Präzision
Kirke Karja ist eine estnische Pianistin von 33 Jahren, die in dem französischen Kontrabassisten Etienne Renard und dem in Berlin lebenden, erst 27 Jahre alten Schlagzeuger Ludwig Wandinger ideale Partner hat. Mit den Formen und Harmonien herkömmlicher Jazztrios brechen sie in zerklüfteten, immer wieder neu ansetzenden Stücken, die mal aggressiv-dissonant, mal träumerisch-versonnen in einem großen gemeinsamen Atem aberwitzig rhythmisierte Themen und Motive durchqueren.
Karja findet ihr Glück in Regionen, die auf der Tastatur weit auseinander liegen. Melodien hüllen sich ein in Tontrauben oder erscheinen in kantig nebeneinander gesetzten Blockakkorden, Soli spielen so gut wie keine Rolle. Dafür beansprucht der Bass mit Macht und Fülle einen eigenständigen Platz im Kollektiv, und das Schlagzeug akzentuiert all das Zerbrochene, sich teils aus dem bloßen Geräusch Aufschwingende mit springteufeliger Präzision.
Diese bei aller Abstraktion sinnliche und beflügelnde Musik, live noch viel überzeugender als auf dem Album „The Wrong Needle“, ist im zeitgenössischen Jazz nicht ohne Vorbild. Die slowenische Pianistin Kaja Draksler verfolgt in ihrem Trio Punkt.Vrt.Plastik mit Petter Eldh und Christian Lillinger ähnliche Konzepte. Und in Skandinavien arbeiten der Däne Søren Kjærgaard oder die in Oslo lebende Japanerin Ayumi Tanaka daran.
Weg mit den Jazzklischees
Dieser Überwindungswille in Bezug auf Jazzklischees bringt längst eigene Konventionen hervor. Spät am Freitagabend, als unter dem Motto „Playing the House“ alle Bühnen in der Schaperstraße für Kurzkonzerte freigegeben sind, tritt etwa die schwedische Pianistin Lisa Ullén auf. Mit ihren beiden Kameradinnen clustert sie sich tapfer durch einen hitzigen Set, ohne aber nur einen Bruchteil der Energie von Kirke Karja zu erzeugen.
Doch gibt es jenseits von Moden, die durch die hochschulische Ausbildung noch verstärkt werden, nicht schon lange unterschiedliche Entwicklungsstränge? Auf der einen Seite versammelt man sich noch immer um das Great American Songbook als das große Lagerfeuer und studiert die Finessen der europäischen Romantik. Auf der anderen Seite sucht man über die Ekstasen der freien Improvisation Zugang zu einer neuen Kunstmusik, ohne die afroamerikanische Tradition verleugnen zu müssen. Beide Seiten sind nicht völlig voneinander getrennt, aber sie definieren ihre Möglichkeiten und Erschöpftheiten mit schöner Regelmäßigkeit von Neuem. Und manchmal entsteht aus Dingen, die überhaupt nicht zueinander passen wollen, etwas Drittes.
Der Auftritt des 81-jährigen Saxofonisten Peter Brötzmann, den Bert Noglik mit dem Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik auszeichnete, war so ein Fall. Die teutonische Wucht seiner altersbedingt abgemilderten, doch vom Ton her nach wie vor brennenden Free- Jazz-Attacken kontrastiert diesmal mit sehnig-satten Grooves. Wo er vor einem halben Jahrhundert mit Sven-Åke Johansson oder Peter Kowald laut dem Himmel zürnte, da erden ihn nun der amerikanische Schlagzeuger Hamid Drake und der marokkanische Gimbri-Virtuose Majid Bekkas.
Hohe Reibungsenergie
Eine sich gegenseitig anstachelnde Rhythmusgruppe, die den Boden für Brötzmanns Ausbrüche bereitet. In dieser Konstellation hat das etwas von ermäßigtem Berserkertum – oder von bloßer Kombinatorik. Auf diesem Fundament hätten sich auch viele andere entfalten können. Dennoch: Die Reibungsenergie ist außerordentlich.
Mit Südafrika unterhält das Jazzfest spätestens seit letztem Jahr enge Bande. Aus Kapstadt kommt diesmal das Quartett des hart swingenden Schlagzeugers Asher Gamedze. Jazztraditionen der Endfünfziger und sechziger Jahre paaren sich mit einem folkloristischen Kolorit und politischen Befreiungsbotschaften.
Im Geflecht der Linien von Trompete und Tenorsaxofon hat das etwas überaus Animierendes. Das zehnköpfige, eigens für das Festival zusammengestellte Ensemble Kompoussula, in dem, mit typografisch kyrillen Einsprengseln, das deutsche Wort Kompass mit dem französischen Pendant boussole verschmilzt, nimmt einem dafür sofort wieder den Wind aus den Segeln.
Was hier mit Stimmen aus aus dem Schwarzmeerraum, der Ukraine (Kateryna Ziabliuk und Maryana Golovchenko), Polen (Olga Koziel) und der Türkei (Sanem Kalfa), zusammenfindet, treibt in spannungslosen, schwer durchhörbaren Arrangements dahin. Bei Matana Roberts, der Sängerin und Altsaxofonistin aus Chicago, die mit „Memphis“ den vierten Teil ihres halbtheatralischen, auf zwölf Teile angelegten und aus der eigenen Familiengeschichte schöpfenden Black-History-Projekts „Coin Coin“ präsentiert, geht es immerhin wieder aufwärts – auch wenn es nur mehr vom Gewohnten ist.
Einmal um die ganze Welt, das geht in vier Tagen Jazzfest ganz schnell. Und dass man auch beim besten Bemühen, die Hälfte – vielleicht sogar die bessere – verpasst, ist nicht die Schuld von Nadin Deventer: Es ist der Charakter einer solchen Veranstaltung. Wie in den vergangenen Jahren hat sie konsequent auf die großen Acts verzichtet und Musikerinnen und Musiker eingeladen, die es sonst wohl nicht unbedingt nach Berlin verschlagen würde, und sie mit der einheimischen, höchst internationalen Szene zusammengeführt. Das ist kein geringes Verdienst. Einmal hat Deventer noch Gelegenheit, sich dabei zu steigern.
Zur Startseite