Eine schrecklich nette Piratenfamilie

Ein alleinerziehender Vater hat’s nicht leicht. Erst recht nicht, wenn er Witwer ist, und weit davon entfernt, über den Tod seiner schönen Frau hinweggekommen zu sein. Auf zwei Töchter muss Campbell aufpassen. Genova, die Kleine, verlangt dauernd etwas zu essen und ist, vorsichtig formuliert, sehr temperamentvoll. Itaca, die Ältere, hat zunächst nur Bücher im Kopf, bis sie sich in den blonden Mädchenschwarm Luca verliebt.

Das Titelbildes des fünften und letzten Albums.Foto: Carlsen

Alltägliche Probleme? Nicht ganz. Nach dem Leben trachtet man den Campbells auch: Sie sind schließlich Piraten, in der Karibik um 1600.

Eigentlich will Campbell von dem Herumabenteuern auf See ja nichts mehr wissen. Mit seiner kleinen Familie hat er sich auf eine Insel zurückgezogen. Als ihr geheimer Aufenthaltsort bekannt wird, müssen sie fliehen. Erzfeind der Campbells ist der Pirat Inferno, eine düstere Variante des Captain Hook.

Er ist gerade dabei, von der Seite der Gesetzlosen auf die der Ehrsamen und Mächtigen zu wechseln. Zum Dank dafür, dass er zuverlässig stets nur französische Schiffe ausraubt, ist er von der englischen Königin in den Stand eines Barons erhoben worden.

José Luis Munuera, der Schöpfer der fünfbändigen Serie „Die Campbells“ (Carlsen, je 56/64 S., je 12,40 Euro), ist der Leserschaft frankobelgischer Comics als „Spirou“-Zeichner bekannt. Mit Jean David Morvan als Szenaristen brachte er zwischen 2005 und 2008 vier entsprechende Alben heraus; dann kam mit Fabian Vehlmann und Yoann ein anderes Team zum Zuge.

Ein Finale, das Erroll Flynns würdig wäre

Frustriert scheint Munuera dies nicht zu haben, eher beflügelt. Mit einem „Spirou“-Spin-Off, dessen Hauptfigur der lächerliche Schurke Zyklotrop ist, und mit den „Campbells“ hat er seitdem bewiesen, dass er ein „auteur complet“ ist, der sich bestens auch aufs Schreiben versteht.

Das Cover des vierten Bandes der Reihe.Foto: Carlsen

Mit den „Campbells“ zeigt er sich gleich doppelt als gewiefter Erzähler. Einerseits lässt er die Handlung parallel auf zwei Zeitebenen ablaufen. Von der Gegenwart blendet er immer wieder in die Vergangenheit zurück, um nach und nach in kleinen Schritten zu enthüllen, wie viel Campbell und Inferno in Wahrheit miteinander verbindet.

[„Die Campbells“ zählte 2021 zu den Comics, die den Tagesspiegel-Leser*innen besonders gut gefielen. Hier gibt es die Liste mit allen Favoriten des Jahres.]

Andererseits steigert er im Laufe der Serie, ohne den Humor zu vergessen, erheblich deren Dramatik, von einem burlesk-episodischen Anfang hin zu einem großen, epischen Finale, das eines Erroll Flynn-Films würdig wäre.

Offensichtlich ist, dass Munuera viel „Asterix“ verdankt. Wie Goscinny hat er seinen Spaß an verklausuliert sprechenden Namen und gezielt eingestreuten Anachronismen: In den „Campbells“ ist ein Pirat von seiner übermotivierten Crew genervt – hätte er bloß keinen Motivationstrainer angeheuert!

Die gelängten, mit markanter Nasen- und Kinnpartie versehenen Figuren erweisen den Einfluss Uderzos. Aber Munuera ist kein Kopist: Die Dynamik seiner Bildfolgen macht diese Serie auch für ein junges Publikum attraktiv, das an Mangas gewöhnt ist.