Corinna Harfouch zum 70.: Eiskönigin mit Herz
Sie kann harsch sein. Das Interview, dass sie dem Tagesspiegel zum Kinodrama „Lara“ gegeben hat, gefällt ihr im Nachhinein nicht mehr. Also ab in die Tonne damit.
Sie kann entwaffnend offen sein. Im Interview zu ihrem Berlinale-Film „Sterben“, zu einer Rolle, die ihr 2024 den Deutschen Filmpreis einbrachte, erzählt sie freimütig von ihrem Verhältnis zu ihrem Vater, das erst jetzt, im hohen Alter, von Zärtlichkeit erfüllt ist.
Kollegial sein kann sie auch. Damals, Anfang der Neunziger, als der Theater- und Filmstar Ost beim Fernsehfilm eines West-Berliner Regisseurs mitspielt, zeigt sie sich als nahbare Schauspielerin, die stets pünktlich und vorbereitet erscheint, aber auch schon mal durchblicken lässt, dass sie von den Dialogen, die sie in der einigermaßen klischierten Ost-West-Stasi-Geschichte sprechen muss, nicht durchweg überzeugt ist. Einen Karriereknick bedeutete die Wende für sie jedenfalls nicht.
Sich nicht vereinnahmen zu lassen, Distanz wahren, völlig unverfroren die Eiskönigin geben – wo Darstellerinnen doch vom Publikum viel mehr für ausgestellte Emotionalität geliebt werden – das ist ihre spezielle Gabe. Gewissermaßen das Gegenbild zur hemdsärmeligen Art des verstorbenen Volksschauspielers Michael Gwisdek, mit dem sie mehr als zwanzig Jahre verheiratet war.
Jetzt wird Corinna Harfouch, die am 16. Oktober 1954 in Suhl geboren wurde, 70. Und man hat nicht das Gefühl, dass die Theaterschauspielerin, die zu den wichtigen Bühnenprotagonistinnen von Heiner Müller wie von Frank Castorf gehörte, bei ihren Altersrollen halbe Sachen macht.
In „Sterben“ von Matthias Glasner spielt sie eine Mutter, die ihrem Sohn kühlen Blicks mitteilt, dass er eigentlich ein „Unfall“ war. Die Szene zwischen ihr und ihrem wehleidigen Sohn (Lars Eidinger), wo sie nach Vaters Beerdigung überm Streuselkuchen Tacheles miteinander reden, ist wahr und heftig. Ebenso wie die, in denen die Mutter versucht, den dementen Ehemann, der es nicht rechtzeitig zur Toilette geschafft hat, wieder einzufangen. „Spielen bedeutet für mich immer Erkennen, also Erkenntnis durch Spielen. Ich begreife das Leben, in dem ich es spiele“ hat sie im Februar im Interview gesagt. Und wer sagt schon, dass es immer schön sein muss, was es über das Leben zu begreifen gibt?
Harfouch ist eine große Spröde, die das Implodieren eines Charakters mit minimalen mimischen Veränderungen spielen kann. Jan-Ole Gerster hat dieser Schauspielkunst vor fünf Jahren mit dem Drama „Lara“ eine Hommage gewidmet. Als angespannte Pianistenmutter, die selbst einst gern Konzertpianistin geworden wäre, streift sie im roten Mantel durch ein ungewohnt nobel anmutendes, herbstlich gefärbtes Berlin. Das nicht gelebte Leben, die Glasscheibe, die die neurotische Heldin von der Welt trennt – Harfouch macht eine elegante, melancholische Etüde daraus.
Der Stempel Charakterdarstellerin hält sie jedoch nicht davon ab, sich auch im Bereich Klamotte zu betätigen. Wie 2022, als sie im Gorki Theater in einer Inszenierung des Autorenkollektivs Soeren Voima die Hauptrolle in „Queen Lear“ spielt. In einer Shakespeare-Variation, die im Weltall spielt. Mit einer Harfouch in der Hauptrolle, die zu Beginn der dreieinhalbstündigen Spielzeit in ihrem Space-Käfig-Kostüm kaum zu erkennen ist. Experimentierfreudig kann sie auch sein. An der Volksbühne, bei Frank Castorf, hat sie bewundernswert die männliche Hauptrolle in „Des Teufels General“ gespielt.
Seit 2023 versichert sich auch der „Tatort“ des Zugpferds Corinna Harfouch, wo sie als Nachfolgerin von Meret Becker zusammen mit Mark Waschke in Berlin ermittelt. Allerdings hat Harfouch nur für sechs Folgen zugesagt, weil sie nicht mit 75 noch auf Verbrecherjagd gehen will, wie zu lesen ist. Das ist eine Selbstbeschränkung, die zugleich von klarer Selbsteinschätzung der eigenen Physis wie von einer Abneigung an filmische Routinen erzählt. Beides passt zur Schauspielerin Corinna Harfouch.