Durchatmen bei Hertha BSC – und weiterarbeiten
Ganz kurz vor Schluss hätte es doch noch schiefgehen können. Vladimir Darida hatte den Ball unabsichtlich sehr gefährlich Richtung eigenes Tor geköpft. In der vorigen Saison hätte Fußball-Bundesligist Hertha BSC auf diese Art womöglich ein unglückliches Gegentor kassiert.
Diesmal aber war Torwart Oliver Christensen mit seiner besten Parade des Spiels da. Dann ging es rasend schnell: langer Schlag von Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny, langer Lauf von Stürmer Davie Selke und nach dessen Hereingabe das 2:0 in der Partie beim FC Augsburg durch Mittelfeldspieler Marco Richter.
Es war für Hertha das perfekte Ende einer gelungenen Dienstreise. Weil das Tor endgültig alle Zweifel am ersten Pflichtspielsieg beseitigte, der „extrem wichtig“ war, wie Trainer Sandro Schwarz sagte – und weil Richter das Tor erzielte. Beim zweiten Kurzeinsatz nach überstandener Krebserkrankung, gegen den Verein, bei dem er zum Profi geworden war, vor den Augen seiner Familie auf der Tribüne. Er habe etwas Bammel gehabt, bevor er frei vor dem Tor den Ball von Selke bekommen habe, „weil ich so einen schon mal vergeben habe“, räumte Richter ein.
Diesmal blieb der 24-Jährige sehr cool, machte noch einen kleinen Schlenker um Torwart Rafal Gikiewicz und schob dann ein. Danach zeigte der Mittelfeldspieler mit dem rechten Zeigefinger an, wem dieses Tor zu großen Teilen gehörte: Davie Selke.
„Für mich war mein Tor natürlich das i-Tüpfelchen, aber ich freue mich am meisten für die Mannschaft, weil wir uns endlich belohnt haben“, sagte Richter. Trainer Schwarz machte aus dem Tüpfelchen einen „i-Punkt“ und sagte: „Das war sehr emotional. In allererster Linie geht es um den Menschen Marco. Wir freuen uns, dass er gesund ist und seiner Leidenschaft, jeden Tag auf dem Platz zu stehen, wieder nachgehen darf.“
[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: tagesspiegel.de/bezirke]
Zu den großen Emotionen gesellte sich noch etwas anderes: „Erleichterung pur“, schrieb Präsident Kay Bernstein später per Twitter. Ein Gefühl, das bei vielen vorherrschte. Und Investor Lars Windhorst war einfach „super happy“.
In der Pause, als es noch 0:0 stand, hatte Schwarz dem Team klargemacht, „dass wir nicht nochmal gelobt werden wollen für unsere Leistung und dann kein Ergebnis in der Hand haben.“ Aber diesmal hatten sie etwas in der Hand. „Der Sieg war verdient, wir wollten ihn von der ersten Minute an“, sagte Kapitän Marvin Plattenhardt, dessen präzise Flanke auf Dodi Lukebakio das Führungstor ermöglicht hatte.
Sinnbildlich für den großen Einsatz der Mannschaft stand in dieser Szene Wilfried Kanga. Der Stürmer machte zwar wieder kein Tor, eroberte aber vor dem 1:0 den Ball gegen Jeffrey Gouweleeuw und hatte damit auch seinen Anteil am Treffer.
Einsatz und Leidenschaft entscheiden
Hertha mag in einigen der vorigen Partien fußballerisch besser agiert haben. Aber in Augsburg entschieden – nicht unerwartet – Faktoren wie Einsatz und Leidenschaft. „Wir haben als Mannschaft gut verteidigt, weil wir immer aktiv waren“, sagte Schwarz. Wer viel arbeitet, hat dann auch mal Glück: Beispielsweise Mitte der ersten Halbzeit beim Foul des gerade nach einer Sperre zurückgekehrten Filip Uremovic an Ermedin Demirovic. Es hat schon Schiedsrichter gegeben, die in solchen Situationen die Rote Karte gezeigt haben. Uremovic sah von Harm Osmers nur Gelb.
Insgesamt hat die Abwehr nach dem Wackelstart mit zusammen sieben Gegentoren im DFB-Pokal bei Eintracht Braunschweig und in der Liga beim 1. FC Union schon seit Wochen deutlich an Stabilität gewonnen. Nun gab es den Lohn in Form des ersten Spiels unter Schwarz ohne Gegentor.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.
Gut zu tun gibt es natürlich weiterhin. Etwa nach Balleroberungen hatte Schwarz „definitiv Verbesserungspotenzial“ gesehen. Aber der Sieg hilft auf mehreren Ebenen: In der Tabelle stehen die Berliner nicht mehr knapp vor Platz 18, sondern haben das Mittelfeld im Blick. Und auch psychologisch war es ein Befreiungsschlag. Bei einer erneuten Enttäuschung hätten sich vielleicht doch langsam erste Zweifel eingeschlichen, der Druck wäre deutlich größer geworden. Nun aber sieht es erst einmal anders aus: „Die Lebensqualität ändert sich kurz nach dem Spiel in der Kabine, das ist logisch. Auch der nächste Morgen fühlt sich besser an“, erzählte Schwarz.
Ab Dienstag aber soll der volle Fokus schon auf den nächsten Gegner Bayer Leverkusen gerichtet werden, der am Samstag um 15.30 Uhr ins Olympiastadion kommt. Bayer hat mit fünf Niederlagen in sechs Pflichtspielen – inklusive Aus im DFB-Pokal beim Drittligisten SV Elversberg – einen ziemlich verheerenden Start hingelegt, liegt mit nur drei Zählern auf Platz 14. Da reist ein sportlich angeschlagener Kontrahent an.
Von der Qualität im Kader her ist das Team allerdings weitaus höher einzuschätzen. Hertha wird im Vergleich zum Augsburg-Spiel weiter zulegen müssen. Doch Schwarz ist guter Dinge, denn: „Ergebnisse beschleunigen den Entwicklungsprozess.“ Und das erste richtig zufriedenstellende Ergebnis ist seit Sonntagnachmittag da.