Die John-Giorno-Ausstellung „God Complex“ in Wien: Sätze, die sitzen, Sprache, die Macht ausübt
Die Ausstellung beginnt mit zwei Briefen an einen Toten. Der eine stammt von Krist Gruijthuijsen, der bis Sommer dieses Jahres Direktor des KW Institute for Contemporary Art in Berlin war. Als nun freier Kurator inszeniert er in Wien aktuell mit Anthony Huberman eine Soloschau über John Giorno, und beiden merkt man die riesengroße Sympathie und Achtung dem US-amerikanischen Performancekünstler gegenüber an.
Ihre fiktiven letter, mit denen sie die Ausstellung „God Complex“ in der Galerie Eva Presenhuber einleiten, sind berührend intim, ein bisschen provokant, vor allem jedoch Liebeserklärungen an eine Gestalt, deren Biografie die meisten Maßstäbe sprengt. Giorno, Jahrgang 1936, tauchte in Andy Warhols Experimentalfilm „Sleep“ aus den frühen sechziger Jahren auf. Er war mit William Burroughs liiert, selbst Teil der Beatnik-Szene, der New Yorker Subkultur der Achtziger, ein Vorreiter der Spoken Word Poetry und bis zu seinem Tod 2019 mit dem Schweizer Künstler Ugo Rondinone verheiratet.
1965 gründete Giorno seine Plattenlabel. Musik interessierte ihn, noch mehr aber faszinierte ihn Kommunikation auf allen Ebenen. Die Vinyl- und CD-Publikationen des Giorno Poetry Systems (GPS) zeichneten auf, was Künstler wie Patti Smith, Laurie Anderson, John Cage oder Robert Rauschenberg zu sagen hatten und verdichteten es zur Aktion Dial-a-Poem, bei der ständig wechselnde Gedichte auf Anrufbeantworten abgefragt werden konnten.
1970 war die Arbeit im New Yorker MoMA zu sehen, in Wien erinnern zwei schwarze Tastentelefone, eine Edition von 2019, an Giornos üppiges Netzwerk. Die poetischen Miniaturen sind noch zu hören, stammen heute jedoch vom Band. Damals wurden sie live vorgelesen.
„I want to cum in your heart“
Den größten Teil der Schau aber nimmt Giornos eigene Wortkunst ein. Es sind Sätze, die sitzen und einen ebenfalls mit Sprache arbeitenden Konzeptkünstler wie Lawrence Weiner zum Autor diffuser Botschaften degradieren. „I want to cum in your heart“ oder die frühe Arbeit „Black Cock“ lassen sich an Klarheit kaum überbieten. Aber genauso zeugen sie von einer Zeit, in der ein offen schwul lebender Künstler mit seinen Statements die Gesellschaft herausfordern musste, um etwas zu bewegen.
Über die Sätze auf teils monumentalen Siebdrucken in Regenbogenfarben regt sich heute niemand mehr auf. Stattdessen sind sie, so fasst es Gruijthuijsen zusammen, „konkrete Poesie im skulpturalen Sinne“. Mächtige Buchstaben, die einen nicht bloß visuell überwältigen, sondern auch über die Macht von Sprache nachdenken lassen.
Dabei geht es weniger um das Manipulative von Sprache als um ihre Schönheit, Interpretationsvielfalt und die spirituelle Kraft von Sätzen wie „It doesen’t get better“ oder „You got to burn to shine“. In der Ausstellung prangen sie wie Manifeste an den Wänden, selbst Allgemeinplätze laden sich mit Bedeutung auf.
Giorno bedient sich Alltagsvokabeln, löst sie aber von der Aufgabe, reine Informationsträger zu sein. Verdoppelung, Verfremdung, Isolierung und Glorifizierung waren seine Strategien. Wie das klingt, hört man im Keller der Galerie dank diverser Lautgedichte, als einziges Bild hängt hier mit „Big Ego“ eines seiner letzten Werke.
Was Giorno damit sicher nicht meinte, war die Überhöhung der eigenen Person. Er selbst war im Gegenteil zeitlebens ein emphatischer Aktivist, der sich für andere einsetzte. In den achtziger Jahren weitete sich Giorno Poetry Systems zu einem Non-Profit-Unternehmen, das unter anderem von Aids Betroffene mit Geld und Zuneigung unterstützte. Giorno wurde nach einer Tibet-Reise praktizierender Buddhist – was er ebenso wichtig nahm wie sein Dasein als Poet.
Am einstigen Hauptsitz in Downtown Manhattan gibt es ein denkmalgeschütztes Gebäude, in dem einst neben Burroughs und Giorno auch Mark Rothko oder Lynda Benglis lebten. „Ich hoffe, die Show fängt Deinen Geist gut ein“, schreibt Kurator Gruijthuijsen am Ende des Briefes als Gruß aus dem Diesseits. Von hier aus kann man ihm vorbehaltlos zustimmen.