Wer durchhält, siegt
Die einen haben Geld, die anderen brauchen Geduld. „Hands on hardbody“ heißt der Wettbewerb, den ein texanisches Autohaus vor Jahren regelmäßig veranstaltete. Die Teilnehmer standen um einen Pick-up herum und berührten ihn mit der Hand, stündlich wurden fünf Minuten Pause eingelegt, alle sechs Stunden 15 Minuten.
Wer am längsten ausharrte, ohne die Hand wegzunehmen, gewann den Truck. Auf 125 Stunden belief sich der Contest-Rekord, bis es 2005 zu einer Tragödie kam – mit dem Selbstmord eines Kandidaten.
„Mach dir nichts vor“, sagt Kevin (Jesse C. Boyd) zu Kyle (Joe Cole) in Bastian Günthers Spielfilm, der auf jenen wahren Ereignissen beruht. „Selbst wenn du gewinnst, du bleibst der Idiot, der tagelang an einem Truck steht, weil er ihn sich nicht leisten kann.“
Es ist die Perversion des amerikanischen Traums. Du kannst es schaffen im Kapitalismus, auch ohne Kapital, aber Schwäche ist keine Option. Die Abgehängten, der White Trash ebenso wie die Schwarzen, die auch am Pick-up Rassismus zu spüren bekommen, wollen an der Konsumgesellschaft teilhaben. Ihnen bleibt nichts als Durchhalten – zum Amüsement der etwas Bessergestellten, die ihnen zuschauen..
Survival of the fittest, und drumherum, auf dem Parkplatz des Autohändlers, herrscht Volksfeststimmung. Mit Cocktails, Livemusik, den Reportern des Regionalsenders und der wackeren Autohaus-Mitarbeiterin Joan (Carrie Preston), die per Megafon die Regeln erklärt und unentwegt gute Laune verbreitet.
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Im Zentrum des Trubels steht der blaue Truck unterm Zeltdach, umringt von den 20 Teilnehmer:innen. Sechs Stunden, 16 Stunden, 40 Stunden, das Handauflegen hat auch etwas Magisches. Am dritten Tag wird es kritisch.
Schon die Psychodynamik des„Hands on“-Zirkels fördert die Mechanismen der Leistungsgesellschaft zutage: Erfolgsstrategien und Ellbogenmentalität, Selbstüberschätzung, Wahnvorstellungen, Zusammenbrüche. Aber auch Teamgeist und Corporate Identity brechen sich in der Kandidatenrunde Bahn.
Ruthie (Lynn Ashe) liest aus der Bibel vor, Walter hat sich einen Urinbeutel ans Bein gehängt, der Fastfoodverkäufer Kyle will seiner jungen Frau und ihrem Baby etwas Besseres bieten. Einer schottet sich per Kopfhörer ab, ein anderer terrorisiert die Konkurrenz mit Aggrosprüchen, Kevin will sich den Sieg mit miesen Tricks sichern. Aber es wird auch zusammen gesungen, gemeinsam vertritt man sich die Beine und sieht sich im fortgeschrittenen Stadium auch mal im Lachkrampf vereint.
Bastian Günther, der in Berlin und Austin, Texas lebt, hat sich bereits in Filmen wie „Houston“ und „California City“ mit den Auswüchsen des American Dream befasst. „One of These Days“ feierte 2020 im Berlinale-Panorama Premiere, Günther nennt den Film „ein Kammerspiel auf einem Parkplatz“. Es ist ein Drama, das vom Ursprung der Gewalt aus immer wieder enttäuschter Hoffnung erzählt, von den Verlockungen und Gefahren unhaltbarer Glücksversprechen. Und von einem gespaltenen Amerika: Da sind die, die Autos haben oder welche verkaufen, und jene, die nicht als kreditwürdig gelten und Voyeurismus wie Häme ausgesetzt sind.
Ein Leben ohne Auto ist demütigend: Wer geht in den USA schon zu Fuß
In einer Rückblende trägt Kyle Windelpakete und Einkaufstüten zu Fuß nach Hause, weil sein Schrottwagen mal wieder nicht anspringt. Schlimmer als der Fußmarsch sind die wortlosen Demütigungen, als ihm der Cousin über den Weg läuft und auch noch ein Cop ihn anhält. Wer geht in den USA schon zu Fuß.
[In Berlin läuft “One of These Days” ab 19. Mai in den Kinos b-ware!Ladenkino, Delphi Lux, Hackesche Höfe Kino, Moviemento, Rollberg. Alle OmU]
„One of These Days“ spielt in der Welt der K-Marts und Supermarktparkplätze, der Plastikpools und sich duckenden Eigenheim-Baracken. Die Unwirtlichkeit der wirklichen Welt: Ruckhafte Kameraschwenks à la Google Street View und Close-ups auf die Allerweltsgesichter der Wohlstandsverlierer rhythmisieren die Erzählung.
Bis sie sich auf zwei Protagonist:innen konzentriert. Auf Kyle, dem auch die finale Rückblende gilt, zu jenen Tagen, als er sich für „Hands on“ bewarb, als die Hoffnung für seine kleine Familie noch nicht Vergangenheit war und er der Gegenwart kleine, bescheidene Glücksmomente abtrotzte. Und auf Joan, die auch noch ihre demente Mutter versorgt, sich nach einem Mann sehnt und es mit Online-Dating versucht. Die Einsamkeit verbirgt sie hinter ihrem Dauer-Lächeln (großartig, wie Schauspielerin Carrie Preston das „Yes we can“- Amerika geradezu verkörpert, ständig ahnt man die Brüchigkeit ihrer Fassade). Bis die Aufmunterungsparolen auch Joan nicht mehr helfen.