Schwer autoritätshörig
Stasikomödie. Das klingt schon so vorsätzlich, mehr zum Fürchten als zum Lachen. Und war nicht bereits Leander Haußmanns „NVA“ ein Irrtum? Manche Dinge lassen sich vielleicht einfach nicht wiederholen – die Leichtigkeit, der schöne Witz, die Poesie von „Sonnenallee“ etwa. Das war vor 23 Jahren. Und dann plötzlich dies: Ein Wunder geschieht.
„Stasikomödie“ grüßt „Sonnenallee“ über ein Vierteljahrhundert hinweg. Nur dass der Held hier nicht ein Ost-Junge vom kürzeren Ende der Sonnenallee ist. Micha Ehrenreich, damals vom jungen Alexander Scheer gespielt, wäre sicher nicht auf einer menschenleeren Straße an einer roten Ampel stehengeblieben. Ludger Fuchs macht aber genau das. Und die Staatssicherheit bemerkt es.
Die Behörde steht vor großen Aufgaben. In einer suggestiven Szene wird der Chef der Staatssicherheit dies dem jungen Ampelsteher, gespielt von David Kross, später am Beispiel eines Apfels erklären. Er ist von außen rund, rot und gesund wie die DDR. Aber innen – der Geheimdienstler teilt den Apfel – voller Maden. Das seien die jungen Leute vom Prenzlauer Berg. Der Auftrag an Fuchs: Scheinmade werden im Dienste der Apfelgesundheit!
Die Fallhöhe wird gleich in der ersten Szene deutlich: Inzwischen ist die Scheinmade von damals ein erfolgreicher Schriftsteller, der bislang allen Nötigungen widerstanden hat, Einblick in seine Stasi-Akte zu nehmen. Besondere Souveränität, gar Bescheidenheit?
Aber der Druck wächst, und als Ludger Fuchs schließlich doch mit der Akte unterm Arm in der Tür steht, hat seine Frau Corinna (Margarita Broich) bereits eine Party organisiert. Nun spielt Jörg Schüttauf den Gefeierten, zögerlich-beklommen –und zwar so, dass alle Sympathien unwillkürlich auf seiner Seite sind. Der Täter als Opfer? Das Großartige an diesem Film ist nicht zuletzt, dass er solche Kategorien gelassen unterläuft.
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Das Intro, die Akten-Einsichtnahme, ist rundum gelungen, vieles daran objektiv ein Witz: Dass die Stasi das Paar im Bett fotografiert hat, wundert niemanden. Aber was ist das für ein Liebesbrief einer anderen Frau? Und wieso schreibt sie, nie hätte ein Hintern in einer Jeans vollkommener ausgesehen als der seine? Wer mag, darf hier einen indiskreten Hinweis auf Sascha Anderson erkennen, den prominentesten Spitzel in der Prenzlauer-Berg-Szene: Frauen haben ihn von hinten ebenso beschrieben. Die Party wird zum Eklat, der Held flieht, und den Zuschauer beschleicht eine Ahnung. Das hier könnte etwas werden.
„Ostberlin, Anfang der achtziger Jahre. Die Sonne scheint trotzdem“, steht über einem Stadtpanorama mit Fernsehturm. Nun ja, hart am Kalauer. Und dann wartet da dieser junge Mann an der leeren Karl-Marx-Allee kurz vorm ebenso leeren Lenin-Platz. Die Ampel steht auf rot, die Ampel bleibt rot. Ludger Fuchs zieht also ein Taschenbuch aus Hose, es ist „On the Road“. Kerouac war gerade in der DDR erschienen, genau diese Ausgabe. Die Genauigkeit in den kleinen Dingen wird der Film beibehalten.
Natürlich ist es nicht per se lustig, an einer roten Ampel „On the Road“ zu lesen. Und doch wird in diesem Augenblick spürbar, dass „Stasikomödie“ einem sicheren ureigenen Rhythmus folgt. Und es kommt noch besser, der Schnitt erfolgt einen Augenblick früher als man es erwarten dürfte. Nicht übel.
Unwillkürlich muss man an Haußmanns Verfilmung von Sven Regeners „Herr Lehmann“ denken. Die Anfangsszene, Mann und Hund, allein auf der Straße. Es schien fast unmöglich, auf die Höhe von Regeners Schilderung zu kommen, aber es geschah, und das war gewissermaßen entscheidend.
Nichtmal die Stasi-Leute sind bloße Knallchargen
In „Stasikomödie“ folgt Ludger Fuchs’ Engagement wider Willen bei der Staatssicherheit: Einer, der nie gelernt hat, bei Rot über die Ampel zu gehen; der nie gelernt hat, nein zu sagen. Wenn der Abspann recht hat, war es der letzte Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn, der den Regisseur über den Eignungstest der Staatssicherheit mit dauerroter Ampel informierte.
David Kross ist die Idealbesetzung für den jungen Fuchs, er hat die Ausstrahlung eines etwas beschränkten Mannes, aber das kann sich von einem Augenblick auf den nächsten ändern – und dann scheint dasselbe Gesicht vor Schärfe und Konzentration zu leuchten. Wunderbar auch Antonia Bill und Deleila Piasko als Hauptfrauen, nein, Hauptherausforderungen in Ludgers frühen Jahren.
Irgendwann überlässt man sich dem Fluss der Szenen; schon der Versuch des Stasi-Quartetts, eine Wohnung zu verwanzen, ist urkomisch. Wenn ein Offizier sich neben einem offenen Gasherd eine Zigarette anzündet, mitsamt Küche explodiert und man hört dazu Reinhard Meys „Gute Nacht, Freunde, es ist Zeit für mich zu gehen“, ist das ein recht grober Spaß. Aber so wie der Film die Szene optisch auflöst, wird es schon beinahe zur Kino-Apotheose.
[Leander Haußmanns “Stasikomödie” läuft ab Donnerstag, den 19. Mai, in 21 Berliner Kinos]
Für alle diese Szenen gäbe es mindestens 99 Möglichkeiten, sie zu verderben. Leander Haußmann wählt die einzig richtige. Eine Szene trägt die andere, ein sublimes Netzwerk. Dieser Film scheint zu schweben, jeder Bodenkontakt wird umgehend wieder aufgehoben. So wird es hier auch niemandem gelingen, trotz aufrichtigen Willens, die eigene Schuld zu gestehen. Auch das kann läutern.
Nicht mal die Stasi-Leute sind bloße Knallchargen. Wobei: Henry Hübchen als Fuchs’ Vorgesetzter ist durchaus eine, aber zugleich noch etwas drüber – und drunter. Auch der Junge aus „Sonnenallee“ ist wieder dabei: Alexander Scheer, 23 Jahre später, in einer großen Rolle als Prenzlauer-Berg-Transvestit.
Wunderbar auch Steffi Kühnert als Sekretärin Erich Mielkes („Ich bin klein, aber nicht nett!“) oder Detlev Buck in seiner Dauer-Paraderolle als Volkspolizist. Er stellt einen Mann, der bei Rot über die Straße läuft: „Was haben wir denn falsch gemacht?“ Eine Frage, die plötzlich alle Kontexte sprengt. Diese Art von Geschichtsaufarbeitung beherrscht nur das Kino. Oder um es mit Haußmann und dem Häuptling der Apachen zu sagen: „Das Kriegsbeil ist erst begraben, wenn keiner mehr weiß, wo es liegt“.