Das wichtigste Segelrennen der Welt: Wie das Ocean Race nach Deutschland kam
Was bedeutet schon eine Boje? Ein aufgeblasenes Stück Plastik auf der Wasseroberfläche?
Nicht viel. Könnte man meinen.
Aber für Jens Kuphal ist das weiße Kunststoffding in Form eines Würfels, das da in der Kieler Innenförde für die Dauer eines Nachmittags dümpelt, mehr als nur ein Objekt im Wasser. Was genau es für ihn ist, dafür fehlen dem 59-Jährigen ein bisschen die Worte, als er am Freitag in einem Schlauchboot Richtung eben dieser Boje düst. Es gibt sie vermutlich nur, weil er es so wollte.
Offiziell dient die Boje direkt vor dem Kieler Stadtzentrum als Wendemarke für das Ocean Race. Die Flotte aus fünf Imoca-Yachten umrundet sie unter dem Jubel vieler tausend Menschen. An Land und auf dem Wasser folgen sie einem Spektakel, das seinesgleichen sucht in Deutschland.
Der Fly-By, wie das Manöver offiziell heißt, lässt die fortschrittlichsten Hochsee-Racer ein paar Tage vor der Kieler Woche dorthin kommen, wo das Herz des Segelsports hierzulande am heftigsten schlägt.
Jedenfalls erinnert man sich hier noch lebhaft des begeisterten Empfangs, die die Massen der „Illbruck“ bereiteten, als die deutsche Yacht 2002 vor heimischer Kulisse das Volvo Ocean Race gewann. „Das muss magisch gewesen sein“, sagt Kuphal über den historischen Moment, der die Kieler Förde zum Brodeln gebracht haben soll und Einheimische steif und fest behauptet lässt, man habe damals trockenen Fußes quer über die Förde gehen können.
Wie oft er die Bilder von damals mittlerweile gesehen hat? Kuphal weiß es nicht mehr.
Immer, wenn er sich nach einem Rückschlag in den letzten acht Jahren fragte, Warum mache ich das eigentlich?, sah er sich den Fernsehbeitrag über die triumphale Heimkehr der „Illbruck“ in Kiel an. „Unglaublich“, sagt darin ein neuseeländischer „Illbruck“-Profi, „sowas habe ich noch nie erlebt, werde ich auch nie wieder.“
Vom Mischpult zum Rennstall
Für Jens Kuphal standen die Bilder ganz am Anfang. Sie waren der Auslöser dafür, dass er und sein Berliner Kompagnon Robert Stanjek den Entschluss fassten, das Offshore Team Germany (OTG) für die Teilnahme am Ocean Race zu gründen. Die Boje sollte dem Vorhaben die Krone aufsetzen, indem sie dem einsamen Handwerk des Hochseesegelns eine begeisterte Arena spendierte, und sei es auch nur für die Dauer weniger Minuten.
Dazu muss man wissen: Der gebürtige Berliner kommt aus dem Begeisterungsbusiness. Er war Musikproduzent mit einem eigenen Tonstudio in Berlin. Musik, die Massen begeistern soll, war sein Metier. „Ich hatte sie alle“, sagt er und meint Popstars wie Rammstein, Nena, Grönemeyer, mit denen er zusammengearbeitet hat. Doch: „Da gab es nichts mehr.“
Was auf seine unverblümte Art nichts anderes ist, als zu sagen, sein Job am Mischpult begeisterte ihn selbst nicht mehr. Jedenfalls nicht in dem gleichen Maße wie die Idee, am Ocean Race teilzunehmen, dem aus seiner und der Sicht vieler immer noch bedeutendsten Segelrennen, das in mehreren Etappen um den Erdball führt und seit seiner Erfindung 1973 eine kräftezehrende, kostspielige Schlacht um einen Platz in den Geschichtsbüchern darstellt.
Das hätte ich nicht ertragen, dass alle um diese Boje herumkurven, nur wir nicht
Jens Kuphal, Team-Manager des mit Guyot kooperierenden Team Europe
Als sich herausstellte, dass es diesmal im dänischen Aarhus Station machen würde, da, so sagt Kuphal, „fiel mir nur ein: Wendemarke, ist doch klar“. Ihm ging es darum, dass das Ocean Race durch deutsche Gewässer fahren sollte. Und die Boje war sein Argument. So kam es, dass er die Verantwortlichen aus Race-Management, Kieler Stadtverwaltung und Staatskanzlei an einen Tisch zu bekommen versuchte, wo die Verhandlungen beginnen konnten.
„Zu dem Zeitpunkt war gar nicht klar“, fährt Kuphal fort, „ob auch deutsche Teams an dem Rennen teilnehmen würden.“
Sie stehen vor dem Aus
Dann jedoch, nachdem nicht nur Boris Herrmann seine Teilnahme zusicherte, sondern auch Kuphal, Stanjek sowie Philipp Kasüske – als dritter Berliner im Bunde – dabei waren, nachdem der Start des deutsch-französischen „Guyot Team Europe“ Hoffnungen weckte, dass sie trotz kleinen Budgets und veraltetem Boot mithalten könnten, da reihte sich bald Rückschlag an Rückschlag.
Es wurde zu viel repariert und zu wenig gesegelt. Und als im Sturm mitten auf dem Atlantik, der Mast aufs Deck stürzte, erfasste Skipper Benjamin Dutreux die Tragweite sofort. „Nein, nein, nein, bitte nicht“, flehte er verzweifelt. Eine halbe Million Euro versank mit dem losgeschnittenen Rigg im Meer. Eine Summe, die aufzubringen dem Team eigentlich unmöglich war.
Das wusste Team-Manager Kuphal nicht, wie sie die Boje in Kiel je erreichen sollten.
„Das hätte ich nicht ertragen, dass alle um diese Boje herumkurven, nur wir nicht“, sagt Kuphal noch immer ganz aufgebracht von dem Gedanken.
So durfte es nicht aufhören.
Dass es nun anders kommt und Kuphal sich an diesem strahlenden Sommertag bei rasender Fahrt fröhlich an das Gestänge eines Schlauchboots klammert, hat er dem Anruf des Mannes zu verdanken, der das Gefährt in teuflischem Tempo über die Wellen steuert. Marc Pickel heißt er, ein kräftiger, schwerer Hüne mit einer lebhaften Olympia-Vergangenheit.
Die Förde ist sein Revier. „Jens“, rief er ins Telefon, nachdem auch er von Dutreux‘ Verzweiflung erfahren hatte, „das kann nicht sein, dass es so aufhört.“
Nein, das durfte es nicht, wusste Kuphal. Aber wie es abwenden?
Pickel würde alles Technische organisieren, das lädierte Boot in der Kieler Knierim-Werft von einem internationalen Spitzenteams reparieren lassen. Kuphal müsste die Finanzen regeln. Am Ende löste er die vertrackte Situation der Kampagne, indem er selbst „auch nochmal reinging“, will sagen: eigenes Geld nachschoss.
Vor Boris Herrmann sein reicht
Darüber hinaus bedurfte es des Ersatzmasts von „11th Hour“ und einer von Kuphal nicht näher bezeichneten Hilfe durch „Biotherm“, die das Weitermachen ermöglichten. Und noch immer ist der Deutsche völlig perplex und beseelt angesichts dieser Solidarität. „,11th Hour‘ holen uns ins Rennen zurück und gefährden ihren eigenen Erfolg“, sagt er, „indem sie uns einen Mast geben, den sie auch brauchen könnten.“
Das kann man nur verstehen vor dem Hintergrund, dass bei einer so begrenzten Anzahl an Teilnehmern alle gleich stark dazu verdammt sind, das Rennen als solches zum Erfolg zu führen.
„Dann werden wir eben letzte“, sagt Kuphal über die zu erwartende Platzierung. Nach zwei abgebrochenen Etappen und einer weiteren, die sie aussetzen mussten, ist daran nichts mehr zu ändern. Kuphal weiß, dass dieses Ergebnis für seinen Freund, den Star-Weltmeister Robert Stanjek, sportlich schwer zu verkraften ist. Gemeinsam haben beide schon viele Siege errungen in Offshore-Rennen auf Kuphals privater Regatta-Yacht. Nur gewinnen, mache wirklich Spaß, pflegt Stanjek zu sagen.
Drama, Baby!
Marc Pickel hat einen Preis für seine Hilfe aufgerufen. Stanjek müsse vor Boris Herrmann an der Boje ankommen, dann wäre alles bezahlt.
Tatsächlich schafft es die „Guyot“-Crew, diese Bedingung zu erfüllen. Mit bis zu 28 Knoten „fliegt“ sie in die Förde. Immer wieder beschleunigt von sanften Böen, lässt das riesige schwarze Schiff die übrigen Fahrzeuge wie aus einer anderen Zeit aussehen. In Sichtweite, aber genügend weit zurückliegend, folgt die „Malizia“. Erster im deutsch-deutschen Duell vor heimischer Kulisse zu sein, ist fast wie gewinnen.
„Besser geht es nicht“, sagt er und meint – einfach alles: die Kulisse, die Aufregung, das Beachtetwerden und Jubelnkönnen, die Sonne, den Wind, die Fernsehsender berichten live. „Das versöhnt mich mit allem, was passiert ist.“
Die Boje sei „an sich schon ein Meilenstein“, sagt Kuphal zufrieden und hofft, dass sie den Weg ebnet für einen künftigen Etappenstopp. „Man wird süchtig nach dem Ocean Race“, fügt er atemlos hinzu. Stolz macht ihn der Nimbus des Stehaufmännchens, den sich das Guyot-Team erworben hat. Seine Klickzahlen seien „mit am höchsten“, sagt Kuphal, „weil das Drama alles überwiegt“.