Hört endlich auf, den Ronaldo zu beweihräuchern!

Es war nur schwer auszuhalten. Als Portugal am Sonntagabend gegen Belgien unterlag (0:1), da entstand der Eindruck, dass nicht etwa eine ganze Mannschaft soeben aus der Europameisterschaft ausgeschieden war, sondern nur eine einzelne Person. Alle Augen – und vor allem Kameras – lagen an diesem Abend wieder einmal vor allem auf Cristiano Ronaldo.

Auch im Anschluss an das Spiel ging es in der Spielanalyse fast ausschließlich um „Ronaldo-Momente“ und darum, wie „faszinierend“ und „gefährlich“ der portugiesische Nationalspieler sei. In einem Clip „Cristiano Ronaldo – Superstar mit großer Show“ stilisierte das Erste ihn zum Nationalhelden mit 300 Millionen Followern. Es ging um seine Nacktkatze Pepe, seinen erfolgreichen Instagram-Account und den „Cola-Move“.

Was nicht erwähnt wurde: Vergewaltigungsvorwurf und Steuerhinterziehung. Wenn aber über Ronaldo gesprochen wird und man auf das schaut, was sich neben dem Fußballfeld abspielt, dann dürfen diese Aspekte nicht unerwähnt bleiben. Es ist gerade einmal zwei Jahre her, dass dem Sportler vorgeworfen wurde, Steuern in Höhe von 14,7 Millionen Euro nicht gezahlt zu haben.

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Er wurde von einem spanischen Gericht zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt und muss fast 19 Millionen Euro an Steuernachzahlungen und Gelstrafen leisten. Wenn Ronaldo sich nach dem Spiel das Trikot vom Leib reißt und stolz seinen Oberkörper präsentiert, scheint es jedoch als hätte es diese Vorfälle nie gegeben. Die Ich-AG Ronaldo läuft auf Hochtouren, keine Spur von Zurückhaltung, Scham oder gar Demut.

Unkritisch als Superstar gefeiert

Außerdem stehen schwerwiegende Vorwürfe gegen Ronaldo im Raum: Er wurde beschuldigt, im Jahr 2009 Kathryn Mayorga in Las Vegas vergewaltigt zu haben. Der “Spiegel”, der über den Fall berichtet hatte, hat mit Mayorga gesprochen und Dokumente vorgelegt, die ihre Aussagen stützen. Ronaldo hingegen streitet die Vorwürfe ab.

Aber auch wenn wir nicht wissen, was tatsächlich in Las Vegas passiert ist, sagt der Umgang mit dem Fall viel über die Welt des Männer-Fußballs aus. Jemand, der Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hat und gegen den der Vorwurf der Vergewaltigung im Raum stehen, wird völlig unkritisch als portugiesischer Torheld, als Superstar und Fußballkönig abgefeiert. Die diesjährige EM und die Beweihräucherung Ronaldos haben das erneut deutlich gemacht.

Natürlich kann nicht bei jedem Portugal-Spiel in aller Ausführlichkeit erzählt werden, welche Vorwürfe gegen Ronaldo im Raum stehen. Aber wenn es schon um sein Privatleben, seine Nacktkatze und seinen Social-Media-Erfolg geht, dann muss es erst recht um diese Aspekte gehen. Und solange das nicht der Fall ist, ist es auf eine Weise gut, dass Portugal ausgeschieden ist, weil die Ich-AG Ronaldo dann zumindest bei dieser EM keine Rolle mehr spielen wird.