Stefan Marx im U-Bahnhof Hansaplatz: Thank you for waiting

Kein Eintritt, kein Zugangsbeschränkungen, ausufernde Öffnungszeiten – demokratischer geht es kaum. Ein U-Bahnhof ist ein idealer Ausstellungsraum. Unterschwellig geradezu. Nicht nur für das Welttheater aus Passanten, Pendlern und Pennern, das sich hier morgens und abends begegnet, sondern auch für Kunst.

Das weiß nicht nur die Neue Gesellschaft für bildende Kunst mit ihrem Wettbwerb „Kunst im Untergrund“, sondern auch die Kuratorin Leonie Herweg, die mit einer Ausstellung des Künstlers Stefan Marx den U-Bahnhof Hansaplatz bespielt. Und weil die Typografien von Marx dort angebracht sind, wo sonst im Untergrund Werbung prangt, trägt die Schau den poetischen Titel „16 Hintergleisflächen“. So heißen die von der Agentur Die Draußenwerber vermieteten Plakatwände.

Dass in diesem Bahnhof irgendetwas anders ist als sonst, registriert man beim Einfahren schon aus dem Augenwinkel. Ungewohntes Schwarzweiß rhythmisiert das hellgraue Mosaik des Bahnhofs, der wie das gesamte Hansaviertel im Rahmen der „Interbau 57“ entstand. Wörter und Sprüche wie „Don’t go breaking my heart“, „Adieu wrong plans“, „Bonne nuit – Gute Nacht“ wabern in weißen Lettern über schwarzen Grund.

Die monochromen Originale von Stefan Marx, eigentlich im Format 26 x 36 gezeichnet und getuscht, sind in zehnmal so große Plakate verwandelt. Marx, 45, lebt in Berlin. Mit seiner Schwarzweiß-Malerei ist der Zeichner, der in den neunziger Jahren Skater war und Designs für Platten- und Modelabels entworfen hat, in Japan genauso zu Hause wie in den USA.

Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen im U Hansaplatz.
Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen im U Hansaplatz.

© Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, U Hansaplatz/GROTTO, 2023, Ausstellungsansicht. Courtesy of the artist and GROTTO

„Neuerdings taste ich mich in Schriftbilder von Sprachen vor, die ich nicht spreche“, sagt Marx. Auch ein Grund, warum er sein erstes japanisches Schriftbild „Thank you for waiting“ noch mal für den Hansaplatz reproduziert hat. Die Höflichkeitsformel höre man in Japan ständig, erzählt er, und in die vom autolosen Künstler regelmäßig frequentierte Welt des öffentlichen Nahverkehrs passe sie sowieso. Wobei an diesem Morgen im U-Bahnhof gefühlt alle drei Minuten Bahnen abbremsen und wieder losrauschen.

Auch an arabische und kyrillische Schriftzeigen traut Marx sich in seinen comic-haften, vom Do-it-yourself-Charme der Skaterjahre geprägten Zeichnungen inzwischen. Man kann hier „I’m here to sing you songs“ auf Ukrainisch und „Listen to the rain“ auf Vietnamesisch lesen.

Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, im U-Bahnhof Hansaplatz.
Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, im U-Bahnhof Hansaplatz.

© Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, U Hansaplatz/GROTTO, 2023, Ausstellungsansicht. Courtesy of the artist and GROTTO

An diesem U-Bahnhof begeistert Marx, der selbst U7-Anrainer ist, nicht nur die Architekturhistorie der Internationalen Bauausstellung, sondern auch, dass die Eingänge an den Bahnsteigenden liegen und kein Treppenhaus die Mitte verbaut. „Das macht ihn so durchlässig.“ Für Menschen und Assoziationen, die von Sätzen wie „Time it was and what a time it was“, „Open field with a window“ ausgelöst werden, die Stefan Marx Songs entlehnt oder sie einfach irgendwo aufschnappt.

Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen im U-Bahnhof Hansaplatz.
Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen im U-Bahnhof Hansaplatz.

© Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, U Hansaplatz/GROTTO, 2023, Ausstellungsansicht. Courtesy of the artist and GROTTO

Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen im U-Bahnhof Hansaplatz.
Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen im U-Bahnhof Hansaplatz.

© Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, U Hansaplatz/GROTTO, 2023, Ausstellungsansicht. Courtesy of the artist and GROTTO

An Marx und seine Kunst hat Leonie Herweg, 26, gleich gedacht, als sie über eine Untergrund-Ausstellung nachgrübelte. Und weil sich die beiden aus der Kunstszene kennen und das Nicht-Elitäre des öffentlichen Raum als Präsentationsfläche mögen, ging es los.

Kuratorin Leonie Herweg, Credit: privat.
Kuratorin Leonie Herweg, Credit: privat.

© privat

Die Hintergleisflächen-Schau, auf die am Bahnsteig und an der Treppe auch Erklärzettel hinweisen, die Herweg dort aufgehängt hat, ist nur der Auftakt. Der Beginn der Belebung des Hansaplatzes als Kunstort, wie ihn sich Herweg mit dem Kunstraum Grotto vorstellt, den sie am 1. Februar in einem der leerstehenden Läden des oberen Bahnhofsbaus eröffnet.

Eigentlich ist Herweg, die selbst seit einem Jahr im Hansaviertel wohnt und den Laden vom Bürgerverein gemietet hat, Mitarbeiterin im Auktionshaus Grisebach. Weil sie aber findet, dass der Bahnhof als Teil des Baudenkmals Hansaviertel liebevoller behandelt werden könnte, will sie mit Kunst und Kultur dazu beitragen.

Zwar hat hier auch das Grips Theater seinen Sitz und zur Akademie der Künste im Hanseatenweg ist es auch nicht weit, trotzdem kennt Herweg etliche Leute, die nie am Hansaplatz waren, wie sie erzählt. Mit dem vorerst selbst finanzieren Kulturraum und der Auftaktschau will sie das ändern. Und der Nachbarschaft ein Zeichen geben, dass sich um den U-Bahnhof gekümmert wird. Grotto ist ein Herzensprojekt.