Zur WM-Form fehlt der Nationalmannschaft noch einiges
Zu später Stunde sagte Hansi Flick einen Satz, der vieles über den Auftritt der deutschen Nationalmannschaft beim 1:1 am ersten Spieltag der Nations League in Bologna aussagte. „Die Italiener wirkten teilweise etwas eingespielter“, befand der Bundestrainer, und beim Blick auf die Aufstellungen der beiden Mannschaften hieß das für die DFB-Elf nichts Gutes.
Denn während Flick allein sieben Spieler von Bayern München und weitgehend die Formation auf den Platz schickte, die in einem knappen halben Jahr bei der WM in Katar den Titel holen soll, initiierte Italiens Nationaltrainer Roberto Mancini den dringend nötigen Umbruch derart radikal, dass selbst viele Fans der Azzurri einige Spieler kaum kannten.
Sechs Debütanten kamen bei den Italienern zum Einsatz, und Mancini war von der Leistung seines jungen, experimentellen Teams begeistert. „Der Mut dieser jungen Spieler gegen eine große Mannschaft wie Deutschland, die aktuell zu den besten der Welt gehört, hat mich überrascht“, sagte Mancini.
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Von dieser hohen Qualität der DFB-Elf war am Samstagabend in der Hitze von Bologna allerdings nicht viel zu sehen und Flick suchte erst gar keine Ausreden. „Wir haben zu viele Fehler gemacht, um in den Rhythmus zu kommen. Uns hat die Intensität gefehlt, es hat einiges gefehlt“, sagte der Bundestrainer. Nach einer sehr druckvollen Anfangsphase verlor die deutsche Mannschaft den Faden und wirkte in der zweiten Halbzeit lange Zeit erstaunlich abwesend.
„Wir haben uns den Schneid abkaufen lassen“, kritisierte Flick.
Auch Joshua Kimmich, der mit seinem Ausgleichstreffer zumindest die erste Niederlage im zehnten Spiel unter Flick verhindert hatte, sah die Leistung seiner Mannschaft sehr kritisch. „Wir wissen, dass Italien im Umbruch ist, dass sie vielleicht auch den ein oder anderen Spieler nicht auf dem Platz hatten. Für uns ist das zu wenig, wir wollten heute gewinnen.“
Die „Gazzetta dello Sport“ sah in Kimmich noch den besten Spieler der DFB-Elf, bezeichnete die deutsche Leistung insgesamt aber als „lustlos“ und stellte mit etwas Stolz fest: „In offiziellen Spielen können die Deutschen Italien einfach nicht schlagen. Wir sind ihr Fluch.“ Es sind die kleinen Freuden einer angeschlagenen Fußballnation, die zum zweiten Mal in Folge bei einer WM zuschauen muss.
Mancini zählt Deutschland zu den großen WM-Favoriten
Für Mancini gehört Deutschland in Katar trotz der schwachen Leistung zum Auftakt der Nations League zu den großen Favoriten. „Mit Argentinien, Spanien, Brasilien und Frankreich gehören sie zu den Mannschaften, die gute Chancen auf das Finale haben“, sagte der italienische Trainer.
Für Flick steht die Nations League, in der es schon am Dienstag (20.45, ZDF) mit einem Heimspiel in München gegen England weitergeht, ganz im Zeichen der WM-Vorbereitung.
„Auf unserem Weg sind diese Spiele eine gute Herausforderung“, sagte der Bundestrainer und kündigte trotz der kurzen Vorbereitungszeit eine genaue Aufarbeitung des Spiels gegen die Italiener an. „Ich war mit dem Training sehr zufrieden, wir konnten es aber nicht so umsetzen. Das müssen wir analysieren“, sagte Flick.
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Dass es seine Mannschaft, die auf nahezu jeder Position große individuelle Vorteile hatte, abgesehen von der Anfangsphase kaum schaffte, das Spiel dominant zu gestalten, gab dem Bundestrainer durchaus zu denken.
Nach einer langen Saison wirkte ein großer Teil der Mannschaft in der schwülen Hitze von Bologna müde und urlaubsreif. Den Außenverteidigern Benjamin Henrichs und Thilo Kehrer gelang es nicht, Werbung in eigener Sache zu machen, Timo Werner agierte in der Sturmspitze sehr unauffällig und Leroy Sané leistete sich mehrere Flüchtigkeitsfehler.
Für das Spiel gegen England dürfte Flick einige Wechsel vornehmen. „Wir werden so schnell wie möglich die Akkus aufladen, damit wir am Dienstag wieder bei 100 Prozent sind. Wir haben einen großen, einen guten Kader“, sagte der Bundestrainer, und fand dann doch noch einen zufriedenstellenden Aspekt dieses schwierigen Abends. „Wenn ich was Positives herausstellen will, dann dass wir gleich zurückgekommen sind.“