Tsitsi Dangarembga fordert, die Welt neu zu denken
Ohne Scheu packte Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann in seinen Begrüßungsworten in der Paulskirche das heiße Eisen dieser Buchmesse an. Aus Angst vor der Anwesenheit rechtsradikaler Verlage auf der Messe hatten mehrere Autorinnen und Autoren ihre Auftritte abgesagt. Feldmann versicherte beim Festakt für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga, im kommenden Jahr sollten sich auf der Messe „alle sicher fühlen“.
Spontan sprang hier Mirrianne Mahn ans Mikrophon, schwarze Referentin für Diversitätsentwicklung der Stadt, und bekräftigte das Ansinnen im Namen schwarzer Frauen. „Auch das ist Frankfurt“, freute sich Feldmann, dankte „für den Mut“ und verwandelte den kleinen Eklat in ein Fanal für Frankfurt, wo, wie er betonte, Menschen aus 180 Staaten zusammenleben.
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So bewegt begann die Ehrung für die wortmächtige Dangarembga, die sich schreibend, mit Filmen und Projekten für weibliche Selbstbestimmung stark macht. Geboren 1959 unweit der Stadt Harare in Simbabwe als Tochter eines Akademikerpaares, studierte sie Medizin in Cambridge, Psychologie in Harare und – nach ihrem ersten, internationalen Romanerfolg mit „Nervous Conditions“ („Aufbrechen“) von 1988 – drei Jahre Regie an der Film- und Fernsehakademie Berlin.
Die Laudatorin nennt sie ein Vorbild für Afrika
Hier lernte sie ihren Mann, den Filmproduzenten Olaf Koschke, kennen. Er und die drei Kinder waren mit im Saal. Aus den Berliner Jahren stammt auch die Freundschaft mit der Laudatorin, Auma Obama, Germanistin, Soziologin und Schwester des amerikanischen Ex-Präsidenten Barack Obama. Sie pries Dangarembga, die „für die Stimmlosen spricht“, als Vorbild für afrikanische Kinder und Erwachsene.
Dangarembga, die mit der Familie in Harare lebt, engagiert sich dort gegen das Militärregime, dessen Gewaltherrschaft auch nach dem Sturz des Diktators Mugabe 2017 nicht beendet ist. Derzeit sind Verfahren gegen Dangarembga anhängig, da sie an Protesten für Reformen beteiligt war.
Am innigsten verbunden wird Dangarembga mit ihrem Hauptwerk, der Trilogie über ihre Protagonistin Tambudzai, „Rastlosigkeit“ in der Sprache der Shona, wo Kinder diesen Namen in Zeiten der Unruhe erhalten.
Das Dorfkind Tambudzai soll lieber kochen als schreiben lernen
Für das Dorfkind Tambudzai, Tambu gerufen, kommt Schule nicht in Frage. „Weil du ein Mädchen bist“, versetzt der Bruder verächtlich. Der Vater mahnt: „Kannst du Bücher kochen und sie deinem Ehemann vorsetzen?“ Sie solle Kochen und Putzen lernen. Um die Schule für den Sohn zu bezahlen, verkauft die Mutter gekochte Eier an der staubigen Bushaltestelle beim Markt.
Tambu aber trotzt der Familie eine Ackerecke ab, auf der sie Mais zum Verkaufen anbaut, um ihr Schulgeld selbst zahlen zu können. Das Feld gedeiht. Aber ehe Tambu ernten kann, stiehlt der Bruder den reifen Mais und verschenkt ihn an Mädchen.
Die Autorin mahnt in ihrem Buch kritisches Denken an
Ein Lehrer kommt Tambu zu Hilfe, was dem Vater nicht passt. Nur weil er „mehr Buchstaben gefressen hat als ich“, maße sich dieser Mann Einfluss auf die Tochter an. Erst als der Bruder stirbt, wird für Tambu ein Platz an der Missionsschule frei, die ihr in England ausgebildeter Onkel leitet.
Anfangs ist Tambu sympathisch, tapfer stapft sie dem Leben entgegen. Doch Tsitsi Dangarembga arbeitet mit der Abrissbirne gegen Illusionen an. Ihre Protagonistin gerät ins Schleudern, Karriere und Beziehungen zerbrechen.
Bildung allein ist wenig, klärt Dangarembga zwischen den Zeilen auf, wo sie nicht auch kritisches Denken vermittle.
Frühe Herabsetzungen durch die Eltern, familiäre Gewalt, das Machtgefälle im rassistischen Internat wirken wie Zeitsprengsätze, die nach und nach in der jungen Erwachsenen detonieren, und Tambu gibt die Gewalt weiter, bis, im dritten Teil der Trilogie „This Mournable Body“ („Überleben“, eben auf Deutsch erschienen), ein Hoffnungsschimmer aufglimmt.
Das Stückchen Acker steht für Tambus Leben und auch ihr Land
Allegorisch lässt sich das Stück Acker lesen, das am Anfang für Hoffnung stand und dann geplündert wurde. Tambus Leben ist darin abgebildet, auch ihr Land. Simbabwe erscheint ebenso geprägt von Mut, Widerstand und Zuversicht, wie von Machtmissbrauch, Sabotage und Korruption.
Verzerrt wiederholen sich in dekolonisierten Staaten Gewaltverhältnisse aus Tradition wie Kolonialismus. Nicht nur der Freiheitskämpfer Mugabe wurde zum machtgierigen Kleptokraten. Zahlreich sind die Geschichten gestohlener Emanzipation, entgleister Autonomie, verratener Verantwortung.
Wucht hatte Dangarembgas Dankesrede, in der sie diese Kontexte geißelte. Nie hätte sie erwartet, sagte sie, einmal auf diesem Podium zu stehen, in einem Land, das Akteur in der imperialen Geschichte war. Nirgends sei das Gewalterbe vorüber, mahnte die Rednerin. Sexismus, Rassismus, Ausbeutung und das Primat des Profits brächten weltweit weiterhin Gewalt hervor, wurzelnd in jahrhundertealten, hierarchischen Strukturen.
Dangarembga kritisiert die USA scharf in ihrer Rede
Diese hätten nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein „metaphysisches Imperium“ hervorgebracht, das „präkoloniale Weltanschauungen verunglimpft“. Auf das Konto der USA gingen „mehrere Genozide“, die Gewalt des Westens sei in alle Welt „exportiert worden“.
Der von Descartes, dessen Namen sie nicht aussprach, geprägte westliche Kernsatz sei: „Ich denke, also bin ich“, und werde nicht im Licht seiner ursprünglichen Bedeutung gelesen: „Ich zweifle, also bin ich“. Über Andere bedeute der Kernsatz im Umkehrschluss: „Sie denken nicht, also sind sie nicht.“
Das Leitmotiv der Ubuntu-Philosophie lautet: „Ich bin, denn du bist“
Nein, beteuerte Dangarembga, sie wolle die Aufklärung nicht diskreditieren, etabliert werden müsse vielmehr eine neue Aufklärung für die Gegenwart. Die Welt muss neu gedacht werden. Dazu wies sie auf das Leitmotiv afrikanischer Ubuntu-Philosophie „Ich bin, denn du bist“. Es gelte den Schritt zu gehen vom „Ich denke“ zum „Wir denken, daher sind wir“, oder, besser, zum „Wir sind, daher denken wir.“
Dass auch präkoloniale Gesellschaften Hierarchien und kriegerische Konflikte zwischen Wir-Gruppen kannten, blendete das postkoloniale Denken, wie auch hier, stets ein wenig aus. Besorgt warnte Dangarembga auch vor der Verharmlosung des „N-Worts“ in der deutschen Gesellschaft, wo es, wie sie erfahren habe, noch immer vorkomme. Mit Applaus antwortete das Publikum auf die beeindruckende, couragierte Preisträgerin.