Die weiße Haut des Blues : Zum Tod von John Mayall

Rings um Manchester gibt es keine Baumwollfelder. Der Beiname Cottonopolis, den die nordenglische Industriestadt im 19. Jahrhundert erhielt, geht auf die Handelsmacht zurück, mit der sich Manchester als führender Textilstandort etablierte. Bevor die USA den Markt eroberten, importierte man die Rohware aus den indischen Kolonien und exportierte sie verarbeitet zurück.

Wenn der 1933 unweit von Manchester in Macclesfield geborene John Mayall von frühester Jugend an einen Sinn für die Klagegesänge des Blues entwickelte, dann folgte er zunächst der Plattensammlung seines Vaters, eines Amateurgitarristen, und der Begegnung mit einem Album von Lonnie Johnson.  Den Rest besorgten drei schwere Jahre als Soldat im Koreakrieg und eine musikalische Aufbruchszeit, in der sich Fragen nach legitimer und illegitimer Aneignung gar nicht stellten – auch nicht für die, deren Tradition sein weißer British Blues belieh.  

Neben dem fünf Jahre älteren Alexis Korner wurde John Mayall die große Integrationsfigur dieser Szene. Anders als in den segregationswütigen USA konnte sie sich rühmen, auf die afroamerikanische Kultur in ihrer ganzen Breite neugierig zu sein. Mit seiner Band, den Bluesbreakers, rührte Mayall in einem Hexenkessel aus Rhythm and Blues, Rock’n’Roll und Beat, bevor sich der fröhliche Lärm teilte und gegeneinander abgegrenzte Gattungen wie der Hardrock entstanden.

Auf „Blues Breakers With Eric Clapton“, seinem ersten Studioalbum aus dem Jahr 1966, ist das noch in seiner ganzen in die Jahre gekommenen Roheit zu hören. Clapton zog bald mit höheren Ambitionen weiter. Ihm folgten unter anderem der spätere Fleetwood-Mac-Mitgründer Peter Green und der zeitweilige Rolling Stone Mick Taylor.

Die musikalisch innovativste Zeit begann mit der Auflösung der Bluesbreakers und Mayalls Umzug nach Los Angeles. Während er „Blues From Laurel Canyon“, benannt nach seiner künftigen Heimat, 1968 noch in den Londoner Decca Studios aufgenommen hatte, entstand das Livealbum „The Turning Point“ 1969 beim Newport Jazz Festival. Der Gitarrist Mayall verzichtete dabei erstmals auf ein Schlagzeug. Die federnde Frische der Band und sein druckvoll wendiger Tenor waren etwas, das es in dieser Mischung so noch nicht gegeben hatte.

Der Höhepunkt dieser Phase, wenn nicht seiner Karriere insgesamt, war 1970 „USA Union“ mit dem Canned-Heat-Bassisten Larry Taylor, dem zweiten und dominierenden Gitarristen Harvey Mandel und dem Geiger Don „Sugarcane“ Harris. Auch diese Musik hat ihre Zeit, aber so still und entspannt, wie sie mit seiner Bluesharmonika und knappen klaren Gitarreneinwürfen vor sich hinswingt und shufflet, reitet sie zwischen Rock und Jazz elegant hindurch. Während neun der zehn Stücke seiner damaligen Freundin, der Fotografin Nancy Throckmorton, gelten, spricht „Nature’s Disappearing“ gleich zu Anfang eine frühe ökologische Warnung aus: „Man’s a filthy creature …“

„Blues From Laurel Canyon“ – so war 2019 auch seine Autobiografie überschrieben, die nicht zuletzt vom erzwungenen Abschied aus diesem einstigen Hippieparadies erzählte. Ein Lauffeuer verschlang 1979 Teile seiner Besitztümer, darunter sämtliche Tagebücher. Bis vor wenigen Jahren war John Mayall, der bis ins Jahr 2022 mit „The Sun Is Shining Down“ regelmäßig Alben produzierte, noch live zu sehen – keineswegs nur als Denkmal seiner selbst. Im Alter von 90 Jahren hat er die Welt nun in seiner Wahlheimat Kalifornien verlassen.