Zum Tod des Fotografen Thomas Hoepker: Die unerträgliche Gleichzeitigkeit des Seins
Als Thomas Hoepker am 11. September 2001 wegen eines „Magnum“-Fotografen-Treffens in New York weilte, befand er sich beim Anschlag auf das World Trade Center weit weg vom Geschehen, auf der anderen Seite des East Rivers in Williamsburg. Nur drei Fotos machte er, auch weil es ihm nicht gelang, nach Manhattan direkt vor Ort zu kommen.
Eins davon ist zu einem ikonischen geworden, zu einem, das ähnlich wie der Anschlag selbst, jedem Menschen sofort vor Augen steht: Im Vordergrund sitzt eine Gruppe jüngerer, sich unterhaltender Menschen entspannt am Kai, einer von ihnen ist mit einem roten Herrenfahrrad gekommen. Dahinter sieht man von weitem die Rauschschwaden der brennenden Türme.
Hier spätsommerliche Picknick-Stimmung, dort die Katastrophe: Beides will nicht zusammenpassen und stellt doch die Essenz einer Wirklichkeit dar, die sich nur schwer zu einer einheitlichen, sinnfälligen synchronisieren lässt. Hoepker ist für dieses wohl berühmteste Foto seiner vielen berühmten Fotos oft angefeindet worden, gerade von Amerikanern, die ihm Anti-Amerikanismus vorwarfen. Auch aus der Gruppe der fünf hatte es Klagen gegeben, dass er sie ohne um Erlaubnis zu fragen einfach abgelichtet hatte.
Hoepker hat nicht nur als Zeuge gehandelt und ist seiner Arbeit nachgegangen, sondern er schrieb mit seinem Foto Geschichte. 1936 in München geboren, studierte er Kunst, Geschichte und Archäologie, wandte sich aber schnell der Fotografie zu.
In den frühen sechziger Jahren machte er mit Fotoserien aus vielen Ländern in der „Münchner Illustrierten“ und in Zeitschriften wie „Kristall“ und „twen“ auf sich aufmerksam; 1964 verpflichtete ihn dann der „Stern“. Im selben Jahr hatte auch die „Magnum“-Agentur begonnen, seine Fotos zu vertreiben, womit auch seine Karriere bei „Magnum Photos“ startete: 1989 wurde er als erster deutscher Fotograf Vollmitglied bei der Agentur, danach auch Vizepräsident und von 2003 bis 2007 gar Präsident.
Hoepker verstand sich als „Bilderfabrikant“, aber als humanistischer. Am liebsten nahm er das Geschehen am Rande in den Blick, trieb er sich in Elendsgebieten herum bei den Außenseitern und Abgehängten, und immer war ihm daran gelegen, mit seinen Fotos für eine gerechtere Welt zu sorgen. Nun ist Thomas Hoepker in Chiles Hauptstadt Santiago gestorben. Er wurde 88 Jahre alt.