Das queere Kinodrama „Eileen“: Platinblond im Boys Club

Eileen wirkt reichlich deplatziert in ihrem Job. Die 26-Jährige arbeitet als Sekretärin in einer Vollzugsanstalt für jugendliche Straftäter, die meisten Insassen sind kaum so alt wie sie selbst. Es ist eine unglamouröse Arbeit, und die mäuschenhafte Eileen wirkt mit ihrer verdrucksten Mimik, in ihrem grau-braunen Wollmantel, als würde sie sich am liebsten in Luft auflösen.

Tagträumend steht sie im Besucherraum und beobachtet durch die Scheibe verstohlen einen der jungen Wärter. Äußerlich lässt sie sich nicht anmerken, was sich hinter ihrer undurchsichtigen Fassade verbirgt. Wenn Eileen (Thomasin McKenzie) sich von niemandem beobachtet fühlt, rutscht ihre Hand unter den Rock, und sie stellt sich vor, wie ihr Kollege sie gewaltsam gegen die Scheibe presst und Sex mit ihr hat.

Auch die neue Gefängnis-Psychologin passt nicht an diesen Ort, schon ihr Name klingt wie aus einem Hollywood-Film. Rebecca Saint John (Anne Hathaway), aus New York ins Neu-England der 1960er Jahre verpflanzt, rauscht in die Vollzugsanstalt wie die junge Lana Turner, platinblond, Zigarette im Mundwinkel, den Boys Club und die schlecht gelaunten Sekretärinnen im Büro mit einem nonchalanten Lächeln ignorierend.

Hollywood-Flair in Puritanien

Eileen, die mit einer Zigarette in der Hand eher an ein kleines Mädchen erinnert, das heimlich auf dem Schulhof raucht, ist von der überirdischen Erscheinung in dieser puritanischen Welt sofort gebannt. Und auch Rebecca – Regisseur William Oldroyd macht kein Geheimnis daraus, dass er von Hitchcock inspiriert ist – findet Gefallen an dem verschüchterten Mädchen, als sie Eileen dabei ertappt, wie sie heimlich blutige Tatortfotos betrachtet.

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Eine morbide Atmosphäre liegt über den Bildern von Kameramann Ari Wegner, zwischen klassischem Hollywood-Melodram und Film Noir, grundiert von der angespannten Stimmung am Arbeitsplatz. Aber auch Zuhause ist die Welt von Eileen nicht in Ordnung. Sie muss sich um ihren alkoholkranken Vater (Shea Whigham) kümmern, früher der Polizeichef des Städtchens, heute ein Sicherheitsrisiko für sich und seine Umwelt. Als er am Fenster stehend auf die Kinder in der Straße zielt, wird ihm die Waffe abgenommen und in Eileens Obhut übergeben. „Alle Kinder wollen ihre Kinder töten“, erklärt Eileen einmal der perplexen Rebecca.

Die Obsession mit Lee Polk (Sam Nivola) verbindet die ungleichen Frauen. Der Junge hat seinen Vater, einen ehemaligen Kollegen von Eileens Vaters, brutal im Schlaf ermordet, über den Hintergrund der Tat schweigt er sich aus. Beim Besuch der Mutter kommt es beinah zum Eklat. Rebecca versucht Lee zum Reden zu bringen, der in der Vollzugsanstalt verhaltensauffällig wird. Und auch Eileen beobachtet den Jungen heimlich. Es sind jedoch keine sexuellen Fantasien, die sie hat, als sich einmal ihre Blicke kreuzen. Sein Schweigen resoniert mit ihrer eigenen Sprachlosigkeit.

Mit „Eileen“ hat Regisseur Oldroyd Ottessa Moshfeghs gleichnamigen, für den Booker Prize nominierten Roman adaptiert, der von der Kritik mit den Arbeiten der Krimiautorin Gillian Flynn und natürlich Patricia Highsmith verglichen wurde. Im Kino drängt sich mit dem period drama um eine junge schüchterne Frau, die von einer älteren erfahrenen Frau unter ihre Fittiche genommen wird, noch ein anderes Vorbild auf: Todd Haynes queerer Liebesfilm „Carol“ mit Cate Blanchett.

Wie magnetisch bleibt die Kamera am Retro-Glamour Anne Hathaways in ihren für die Arbeit im Gefängnis eine Spur zu eleganten Kostümen hängen, den Blick von Eileen emulierend. Ein gemeinsamer Barbesuch endet auf der Tanzfläche (und mit einem blauen Auge für einen etwas zu aufdringlichen Verehrer). „Es ist eine schlechte Angewohnheit“, meint Rebecca einmal mit Blick auf ihre Zigarette. Und ergänzt vielsagend. „Darum mag ich es.“   

Blutige Schockmomente

Die ungleiche Freundschaft entwickelt im letzten Drittel eine blutige Dynamik, die sich in Form der Waffe des Vaters in den Händen von Eileen bereits früh andeutet. Irgendwie müssen die gewalttätigen Fantasien ja ihr Ventil finden. Einmal jagt sich Eileen eine Kugel in den Kopf: einer dieser gut platzierten, in ihrer Lakonie fast kathartischen Schockmomente, die den zynischen Beobachtungen der Romanfigur im Film eine unerwartet komische Note verleihen.

Man erwartet, dass sich die Geschichten von Eileen und Lee irgendwann kreuzen, im Hintergrund angetrieben von Rebecca, die nicht mal zu ahnen scheint, welche Kräfte in der jungen Frau sie mit ihren Avancen entfesselt.

Am Ende erweist sich „Eileen“ dann doch noch als Bildungsroman, in dem die Hauptfigur einen eher unorthodoxen Weg der Befreiung (vom Elternhaus, aus den beengenden gesellschaftlichen Verhältnissen) findet. Der Satz von den stillen, tiefen Wassern ist reichlich abgegriffen. Aber man möchte lieber nicht wissen, was sich hinter dem Lächeln verbirgt, das sich in der letzten Einstellung auf Eileens Gesicht abzeichnet.