Metroblues und Teezeremonie

Von der Vorstellung, dass in der großen fremden Stadt alles irgendwie anders sein müsse, verabschiedet sich der Reisende gleich bei seinem ersten U-Bahn-Ausflug. Denn nichts war leichter, als mit seiner Prepaidkarte die Einlassschranken zu passieren und den meist zweisprachigen Hinweisschildern zu den Gleisen zu folgen, wo lediglich drei Menschen warten. Die Zweifel bleiben. Weil es doch wirklich nicht so einfach sein kann, die berüchtigte, chronisch überfüllte Tokioter Metro zu benutzen, in der dann aber weniger los ist als auf einem S-Bahnhof in einem Berliner Randbezirk nach Mitternacht.

Angefixt durch “Shogun”

Im Zug schämt der Reisende sich dann beinahe für die Neugier, mit der er um sich schaut. Weil keiner seinen Blick erwidert, niemand ihn wahrnimmt. Dass sich die Fahrgäste mit dem Handy beschäftigen, ohne die geringste Mimik zu zeigen, sieht er als Symptom für das japanische Bedürfnis nach Unauffälligkeit und Anpassung. Christoph Peters ist ein Japan-Kenner, er beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Land.

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Angefixt wurde er 1982 von der Fernsehserie „Shogun“, aus einem spätpubertären Rebellionsgeist heraus hat er sich tief eingearbeitet in die Welt der Samurai, die Kunst der Kalligrafie und den Zen-Buddhismus. Zen versteht er als introspektiven Akt, als eine Kunst des In-sich-selbst-Versinkens.

Keramik als Obsession

Doch in Japan gewesen ist Peters erst jetzt, nach dem zweiwöchigen Aufenthalt entstand sein Buch „Tage in Tokio“. Ins Schwärmen gerät der Schriftsteller beim Besuch einer Ausstellung mit Teekeramik aus dem 16. und 17. Jahrhundert, seiner Obsession. Er erzählt von der herausragenden Bedeutung der Teezeremonie, vom Teemeister Rikyu, der dem Feldherrn Oda Nobunaga diente. Vor der Vitrine mit der legendären Teeschale Unohanagaki geht er bewundernd in die Hocke. „Ich bin so nah an der Scheibe, dass sie von meinem Atem beschlägt, trete vor und zurück, sehe, wie dieser Körper, seine Gestalt sich unablässig verändert, als wäre darin etwas wie Leben.“

[Christoph Peters: Tage in Tokio. Luchterhand Literaturverlag, München 2021. 253 Seiten, 16 €.]

Peters flirtet in einer Sushi-Bar mit einer Einheimischen, besucht einen blutigen Boxkampf. Bei der Besichtigung des Asakusa-Tempels gerät er ins Gedränge, freut sich über die vielen Frauen im Kimono. Allerdings stellt sich heraus, dass es chinesische Touristinnen sind. Die Bindungskraft von Traditionen hat nachgelassen. Studierende, die er in der Universität trifft, wollen wenig wissen von Teezeremonien. Peters’ Bericht ist eine Liebeserklärung. Freunde hatten ihm gesagt, dass er das „wahre Japan“ in der Provinz finden werde, in Kyoto oder Nara. Aber der Besucher fühlt sich wohl im falschen Japan, der widersprüchlichen und wundervollen Stadt Tokio.