Manifest gegen die Angst
Kubas Künstlerszene ist in Aufruhr. Seitdem die in New York lebende Performerin und Aktivistin Tania Bruguera im Oktober einen Aufruf zum Boykott der 14. Havanna Biennale lancierte, spaltet sich die internationale Kunstwelt in zwei Lager.
„Wir sagen Nein zur Havanna Biennale, weil kubanische Künstler monatelang inhaftiert wurden, weil Dutzende von Kunstschaffenden unter Hausarrest stehen, weil Tausende unserer Mitbürger während der Massenproteste am 11. Juli verhaftet wurden. Von den Festgenommenen befinden sich noch mehr als 500 im Gefängnis, darunter mehrere Minderjährige“, heißt es in dem Manifest, zu dessen Erstunterzeichnenden viele im Ausland lebende kubanische Künstler:innen gehören, darunter der im September nach Berlin abgeschobene Hamlet Lavastida.
Auch Marina Abramovic kommt nicht
Dem Boykottaufruf haben Stars des Kunstbetriebs angeschlossen, darunter Marina Abramovic, Ursula Biemann, Claire Bishop, Nocolas Bourriaud, Sam Durant und Helen Moleswort. Doch die Kritik an der ältesten Kunstbiennale des globalen Südens blieb nicht lange unbeantwortet, die Auseinandersetzung darum nimmt immer mehr Züge eines ideologischen Nord-Südkonflikts an. Ein in der mexikanischen Zeitung „La Jornada“ erschienener Unterstützerbrief zugunsten der Biennale wurde von 600 Kulturschaffenden aus 26 Ländern unterschrieben.
Darin wird hervorgehoben, dass Kubas 1984 gegründete Biennale „eine Alternative zu der Banalisierung der Kunst durch einen hegemonischen Kunstmarkt“ darstelle. Biennale-Chef Nelson Ramírez de Arellano ist um Schadensbegrenzung bemüht: Von den mehr als 300 eingeladenen Künstler:innen hätten nur wenige ihre Teilnahme zurückgenommen, so der ehemalige Leiter der Fototeca de Cuba.
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Die größte Kunstschau Kubas eröffnete am 12. November mit einer Gruppenausstellung und einer mehrtägigen Videokonferenz im Centro Wilfredo Lam. Insgesamt wird sie in drei Sektionen aufgeteilt sechs Monate lang dauern. Die Hauptevents wurden aus Pandemiegründen ins erste Quartal 2022 verlegt. Bis dahin soll die kubanische Bevölkerung nahezu vollständig geimpft sein. In seinem Ausstellungskonzept gibt sich das kuratorische Team betont ökologisch: „Wir haben uns vorgenommen, den in dieser Zeit herrschenden Mangel zum Ausgangspunkt unserer Arbeit zu nehmen. Deshalb wollen wir den internationalen Transport von Werken maximal reduzieren sowie umweltfreundliche und ressourcenschonende Projekte auswählen, die größtenteils von den Künstlern und Künstlerinnen selbst mitgebracht werden.“ Also sozialistische arte povera?
Mangel als Stilmittel
Private Kunsträume, die im Rahmenprogramm der letzten Biennale neue Akzente setzen konnten, dürfen dieses Mal nicht teilnehmen. „Vor einem Jahr sagte man uns noch, dass wir mit vier anderen privaten Galerien in das Programm einbezogen würden. Doch seitdem haben wir nichts mehr von der Biennale gehört. Ab und zu kommen zwar Beamte des Kulturministeriums vorbei und inspizieren unseren Showroom. Aber das war schon alles“, beklagt sich ein Galeriebesitzer.
In der Tat fragen sich viele, warum die letzte Biennale aus finanziellen Gründen zweimal verschoben wurde, die diesjährige 14. Ausgabe aber trotz Corona und der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Land seit den neunziger Jahren erlebt, pünktlich starten muss. „Ich bin nicht gegen die Biennale und habe schon mehrmals an ihr teilgenommen“, sagt Fotokünstler René. „Aber gerade jetzt, zu einem Fest einzuladen, da es nicht mehr genug Milch für alle Kinder gibt, die Menschen den ganzen Tag für das Nötigste anstehen müssen und einige Leute sogar hungern? Nein, das kann ich nicht nachvollziehen.“
Andere Künstler:innen wie Sandra fühlen sich durch den Boykottaufruf entmündigt: „Jetzt darf ich also nicht mehr selbst entscheiden, ob ich teilnehme oder nicht? Respektiert man so meine künstlerische Freiheit?“ Die Schauspielerin Lynn Cruz sieht es ähnlich: „Seit 2018 kann ich meinen Beruf im staatlichen Kulturbetrieb nicht mehr ausüben. Trotzdem bin ich gegen einen Boykott, denn das stürzt alle diejenigen in einen Gewissenskonflikt, die gerne daran teilnehmen möchten. Sie werden nicht mehr künstlerisch, sondern ideologisch bewertet, ob sie für oder gegen die Regierung sind.“
Drakonische Strafen
Eine andere Strategie als den Boykott verfolgt die Internetplattform ‚Archipiélago‘, deren Mitglieder für den 15. November Demonstrationen für einen gesellschaftlichen Wandel beantragt haben. Die vom Theaterdramaturgen Yunior García gegründete Initiative beruft sich auf das in der neuen kubanischen Verfassung garantierte Versammlungs- und Demonstrationsrecht.
Die Staatsanwaltschaft Havanna reagierte mit einem generellen Demonstrationsverbot sowie der Androhung drakonischer Strafen für die Teilnehmenden. Aus Sicht der Justiz dienen die geplanten Proteste dem Umsturz der bestehenden sozialistischen Gesellschaftsordnung. Vor Kurzem schaltete sich das Weiße Haus in Washington mit Sicherheitsberater Juan Gonzalez ein, der neue Sanktionen gegen Kuba androhte, falls die Demonstrationen niedergeschlagen würden. Seitdem laufen die kubanischen Staatsmedien auf Hochtouren und diffamieren die Initiatoren von Archipiélago als „ Konterrevolutionäre im Dienste der USA“ . Die spürbare Nervosität der Regierung rührt wohl auch daher, dass sie für den 15. November die Öffnung Kubas für den internationalen Tourismus planen.
Michael M. Thoss, arbeitet seit 2018 für das Goethe-Institut auf Kuba