Auf dem Gummi und auf Tartan

Fußball ist im Grunde ein einfaches Spiel: ein Platz, zwei Tore , vier Eckfahnen, ein Ball, elf gegen elf, fertig. So empfand das 1990 auch Franz Beckenbauer, als er seiner Mannschaft vor dem WM–Finale gegen Argentinien die Anweisung gab: „Geht’s raus und spielt’s Fußball!“.

Und so war das natürlich ebenfalls in der Kindheit und Jugend des 1969 geborenen Kulturwissenschaftlers und Autors Andreas Bernard, der auf den Stein- und Hartplätzen seines Münchener Wohnviertels und in Jugendmannschaften von der E-Jugend an Fußball gespielt hat. Daran erinnert sich Bernard in einem schönen Büchlein, dessen Titel man als die Antwort auf Beckenbauer verstehen kann, die damals Brehme, Littbarski und Co gaben: „Wir gingen raus und spielten Fußball.“ (Klett-Cotta, Stuttgart 2022. 158 Seiten, 20 €.)

Die “Kicker”-Stecktabelle

In Bernards Fall meist fünf gegen fünf, nach der Schule, „auf dem Gummi“, wie der spätere angestammte Platz bei ihm und seinen Mitspielern hieß, ein Platz mit einem „Tartan“–Belag.

Bernard erzählt, mit welchen Typen er spielte, beschreibt, wie die Netze gespannt waren (ja, wichtig, der Ball musste „zappeln“), was es für miese Ersatztore von Rucksäcken bis Pullis gab. Oder er widmet sich den Spielen, die gespielt wurden, wenn noch nicht genügend Jungs beisammen waren, „Familientore“, „Ball aus der Luft“ oder „Eiern“.

Erstaunlich ist Bernards mitunter präzisestes Erinnerungsvermögen. Zumal er auch versucht, sich an ein „Rechercheverbot“ zu halten, gerade bei dem im Internet verfügbaren Material über den „großen Fußball“ von ehedem.

Denn um den geht es hier auch, von der „Kicker“-Stecktabelle über die erste bewusst erlebte Fußball-WM (in Argentinien) bis hin zu den Bayern-Spielen im Olympiastadion.

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Dieses Buch, klar, ist vor allem für die Generation zwischen Boomer und Golf, die vorwiegend männlichen Geschlechts ist, auch klar. Wer selbst lange Jahre Fußball gespielt und im Fernsehen geschaut hat, (und selbstredend als Jugendlicher auch live im Stadion war, bei Eintracht Braunschweig, den Bayern oder sonstwo), dessen Erinnerung wird bei der Lektüre dauerhaft getriggert.

Wunderbar ist, wie Bernard die Geburtsdaten der Spieler in den Sammelalben registriert und irgendwann merkt, dass er aus dem idealen Fußballeralter heraus ist. (Inzwischen sind ja auch die Trainer jünger, das ist die nächste Stufe).

Oder wie er Mannschaftsfotos deutet, die von Bundesligavereinen, die seiner Jugendmannschaften. Oder wie seine innere Uhr im Gleichmaß der großen Fußballereignisse getaktet ist, im Zweijahre-Rhythmus – und wie er sich überlegt, als nun Anfang Fünfzigjähriger, wieviele EMs und WMs er noch vor sich hat.

„Wir gingen raus und spielten Fußball“ ist gleichermaßen ein originelles Erinnerungsbuch wie eine spezielle Zeitreise. Obwohl der Fußball sich sehr verändert hat in seiner ganzen medialen Überdimensionalität mit all den ökonomischen Folgen: Manche Dinge bleiben auch im Fußball immer gleich. Gespielt werden muss.