Den Schuss gehört haben

Wenn wir die Waffen nicht bauen, tun es andere. Wenn das Werk zumacht, gibt’s keine Arbeit mehr im Ort. Wenn wir keine Waffen haben, wie sollen wir uns gegen Terroristen wehren und wie soll die Polizei ihre Arbeit machen?

Es sind Wenn-Sätze wie diese, die Julika, Bobi, Natalie, Manuel und Amal zu hören bekommen, als sie mit 16, 17 anfangen, die Eltern nach deren Arbeit zu fragen.

Die Waffenfabriken ernähren die Stadt

Julika stammt aus einer wohlhabenden, konservativen Familie, die seit Generationen mit „dem Werk“ verbunden ist. So heißt in Heike Brandts engagiertem Jugendroman „Der tote Rottweiler“ eine Rüstungsfirma. Die Vierertruppe um Bobi und Amal recherchiert im Rahmen eines Schulprojekts, das sie nach dem alten Friedensbewegungsslogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ benannt haben, über die Waffenherstellung. Sie prägt die Stadt schon seit 200 Jahren, sogar ein Museum gibt es.

Doch erstmal passiert etwa anderes: Bello, Julikas geliebter Rottweiler ist weg. Als er schließlich gefunden wird, klafft eine Schusswunde in seiner Brust.

Wer macht sowas? Jäger, die ihn beim Wildern erwischt haben? Friedensaktivisten, die Julikas Vater eins auswischen wollen, weil er im Werk für Exporte zuständig ist? Gegen die Waffenlieferungen der Firma nach Mexiko laufen Anzeigen. Die Gewehre gingen illegal auch an Drogenbosse, heißt es. Doch so genau will das keiner wissen im Ort, zu viele sind abhängig vom Werk.

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Ein Handlungsstrang sind die in Julikas Vorzeigefamilie aufbrechenden Konflikte und Altlasten samt der Krimi-Frage, wer den Hund auf Gewissen hat. Der zweite ist die Recherche der in eigene Protestaktionen mündenen Schul-AG, der sich die zögernde Julika schließlich anschließt.

Abgesehen von der Zwangsarbeiter-Historie des Werks sammeln die Jugendlichen auch weitere Erkenntnisse. Etwa, dass Deutschland Platz zehn auf der internationalen Liste der Rüstungsexporteure belegt. Und dass Kleinwaffen, wie das Werk sie herstellt, eine Art Massenvernichtswaffe darstellen, so häufig wie sie überall auf der Welt Menschen töten.

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Dass die Berliner Autorin Heike Brandt aus dem Zündstoff keine moralinsaure Agit-Prop-Lektüre macht, ist das große Plus des Romans. Sie pflegt einen schnörkellosen, empathischen, mit vielen differenzierenden Dialogen durchsetzten Stil. Trotzdem lässt die mitunter etwas überprogrammatisch anmutende Figurenkonstellation keine Zweifel an ihrer Position.

Kopf-in-den-Sand-stecken akzeptieren die Teenager nicht

Da ist der Klassenunterschied zwischen Julikas reicher Familie und den Mitgliedern der Schüler-AG, die migrantisch geprägt, adoptiert oder vaterlos sind. Natalies Eltern sind in der DDR groß geworden und der Arbeit wegen nach Westdeutschland gezogen.

[Heike Brandt: Der tote Rottweiler. Jugendroman. Hirnkost Verlag, Berlin 2021, 448 Seiten, 18 €. Ab zwölf Jahre]

Als die AG sie in einem Videointerview für ihr Projekt befragt, warum er im Werk arbeitet, muss der Vater nicht lange überlegen: gutes Betriebsklima, gute Bezahlung, Qualitätsprodukte. Die moralischen Argumente der Schülerinnen lässt er nicht gelten, Hersteller von Ballerspielen, Überwachungsanlagen oder Babymilchpulver für Afrika seien doch keinen Deut besser, argumentiert er.

„Denen geht’s um Profitmaximierung und damit basta.“ Als Amal kritisch nachfragt, ob er nicht an die persönliche Verantwortung jedes Menschen glaube, sagt er: „Natürlich, aber nur da, wo er wirklich etwas verantworten kann.“

Manuel probt zivilen Ungehorsam

Kopf-in-den-Sand-stecken akzeptieren die Teenager anders als die von Lebenspragmatismen rundgeschliffenen Erwachsenen nicht. Amal will die Ausbildungsstelle als Industriekauffrau, die sie im Werk schon sicher hat, schmeißen. Und Manuel in seiner Empörung zu radikalem zivilen Ungehorsam greifen. Wie weit der gehen darf, wird in der AG kontrovers diskutiert.

Mit den heißen Herzen, die den dichten Roman auszeichnen, der neben der Gesellschaftskritik auch noch Themen wie erste Liebe und Tod abräumt, inklusive der detailliert beschriebenen Beerdigung von Julikas Uroma.

Sind Waffen erstmal da, werden sie auch benutzt. Der Satz zieht sich durch wie ein Mantra. Dass er stimmt, belegen Fälle von Kindern, die mit den Schusswaffen der Eltern Unheil anrichten – bis hin zu Amokläufen an Schulen. „Der tote Rottweiler“ ächtet sie. Und baut gekonnt eineDringlichkeit in den Köpfen der Jugendlichen auf, die ignorantes Weiter-so unmöglich macht. Fehlt nur noch das Patentrezept für die waffenfreie Welt. Aber das liegt außerhalb der Jugendliteratur.