Zu Gast bei den Philharmonikern: Umjubelter Auftritt von Daniel Barenboim und Martha Argerich

Es ist fast, wie weiland zu Karajans Glanzzeit: Draußen stauen sich „Suche Karte“-Schlangen, unverdrossen hoffend bis zum letzten Klingelzeichen; drinnen volles Haus, es brummt und summt, selbst die Sonderplätze hoch unterm Dach sind diesmal belegt. Das Konzert in der Philharmonie beginnt mit sieben Minuten Verspätung.

Als dann die Solistin ins Blickfeld kommt, dicht gefolgt vom Dirigenten; als die beiden vorsichtig das Podium erklimmen, wo die Berliner Philharmoniker schon Platz genommen haben, und zwar, dem Repertoire zuliebe, in sogenannt deutscher Sitzordnung, mit den Kontrabässen links und den zweiten Violinen rechts, da rasten die Leute zum ersten Mal aus: Das wir das noch erleben dürfen! 

Der Jubel gilt Martha Argerich und Daniel Barenboim. Er ist achtzig, sie schon ein bißchen älter. Die beiden kennen einander seit ihren Wunderkindertagen in Buenos Aires, sie treten gern zusammen auf, auch in der Berliner Philharmonie, allerdings noch nie in dieser Kombination, mit den Philharmonikern einerseits, dem Schumannschen a-moll-Konzert andererseits.

Das allein ist schon eine Sensation. Freilich nicht der letzte Grund für die allgemeine Aufgeregtheit. Die wurde ausgelöst am Vormittag, durch eine Presseerklärung Barenboims, des Inhalts, dass er zum Ende dieses Monats als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden zurücktreten werde, nach dreißig teils dramatischen, teils spektakulär erfolgreichen Jahren. 

Eine Ära geht zu Ende. Keineswegs überraschend. Es ist dies ein Abschied auf Raten, der sich im vorigen Jahr mehrfach angekündigt hatte, in vielen krankheitsbedingt abgesagten Konzerten. Barenboim wäre freilich nicht Barenboim, würde er nicht dem Schicksal in den Rachen greifen. Er wird weiter musizieren und dirigieren. Aber er gibt offiziell das Amt auf, gibt „seine“ Staatskapelle frei. Was vor allem bedeutet: „He declares this bazaar opened“: Ab sofort muss in Berlin über seinen Nachfolger verhandelt werden.

Dergestalt wird aus dem Konzert am Abend, wie man sich in der Pause überall erzählt, ein „historisches Konzert“. Nun ja. Zumindest war es Herzenssache. Kaum hatten Argerich und Barenboim Flügel und Pult erreicht, legten sie los. Sie wirkten plötzlich nicht mehr zerbrechlich. Sind nicht mehr achtzig und einundachtzigeinhalb, sondern jung und wild. Statt, wie ursprünglich geplant, Tschaikowskys b-moll-Konzert, spielt Argerich ihr erklärtes Lieblingskonzert, darin Robert Schumann dem Pianisten eine ganz eigentümliche Rolle zuteilte.

Das Klavier wird zum Anstifter, verteilt Licht und Schatten, taucht tief ein ins Orchester und bricht dann wieder aus zu neuen Gesängen, jeweils im Dialog mit einzelnen Instrumenten. Wie ein Axthieb der erste dominantische Orchesterschlag, wie ein Sturzbach die Eröffnungskaskade des Klaviers. Halsbrecherisch scharf die Kontraste, bis zum Zerreißen gespannt die Agogik der exzessiven Klangrede, mit der Argerich ihren Part durchgestaltet, in totaler Freiheit: Da ist Leben drin! Die Philharmoniker, zumal die blitzsauberen philharmonischen Holzbläser-Solisten, halten traumhaft mit. Stehende Ovationen. 

Als Zugabe servieren Argerich und Barenboim, vierhändig, aus den „Jeux d’Enfant“ von Georges Bizet das elfte Stück, es heißt „Petit mari, petite Femme“. Eine lustige Winzigkeit, Barenboim übersetzt: „Kleiner Mann, kleine Frau“. Nach der Pause dirigiert er (statt, wie geplant, Lutoslawskis „Konzert für Orchester“) die nur scheinbar liebenswürdig-bukolische zweite Symphonie von Johannes Brahms. Schwelgt in Klangfarben, legatoweich gebunden, in durchlaufend ruhigem Puls: lauter sonnige, schöne Stellen entstehen. Aber das Wilde ist weg.

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