Aus der Lethargie erwacht
Es war dann am vergangenen Freitag die inzwischen typische Vorgehensweise der Stars des US-amerikanischen Hip-Hop- und R’n’B-Ressorts: Zack, holter, polter und plumps machte es da über Nacht, und schon ploppte bei den Streaming-Diensten ein neues Album des kanadischen Rappers Drake auf, „Honestly, Nevermind“ (Universal). Überraschend in diesem Fall: Es war wirklich nichts vorher von Drake zu hören gewesen, kein Geraune, keine vielsagenden Hinweise, keine Songschnipsel, zu schweigen von einer Vorabsingle. Zumal die Veröffentlichung von Drakes jüngsten Album „Certified Lover Boy“ noch kein Jahr her ist.
Viel überraschender jedoch ist, was man auf diesem Album zu hören bekommt: Dance-Musik. Dance-Pop, mitunter lupenreiner House, dann wieder dezentest fließende elektronische Beats, über die Drake häufig mehr singt als rappt. Damit hat er konsequent zu Ende gedacht, was in Spuren auf einigen seiner vorherigen sechs Alben sowieso schon zu hören war ist. Die reine Beat- und Rap-Lehre ist seiner DNA nicht eingeschrieben.
Neuanfang aus Überdruss
Dass das jetzt alles nicht einer spontanen Idee entsprang, hier ein Superstar des Genres, der der 35 Jahre alte Kanadier neben Kanye West, Jay-Z, Eminem und Kendrick Lamar nun einmal ist, nicht aus lauter Überdruss mal etwas anderes ausprobieren wollte, das beweist das aufwändige, neun Minuten lange Video, das sich Drake zu dem Stück „Falling Back“ hat produzieren lassen. Drake vor dem Altar, sein Trauzeuge ist der Basketballer Tristan Thompson, sein Hochzeitsmusiker ist der durch Serien-Pop und eine Bonnie-Tyler-Interpretation bekannt gewordene Spaßmusiker Dan Finnerty.
Die Hochzeit aber, die Drake feiert, ist keine gewöhnliche, sondern eine mit über zwanzig Frauen, denen er den Ring um den Finger steckt, 23 sollen es sein. Ein Polygamie-Kommentar? So ein richtig kritischer? Oder doch mehr ein Joke von Drake, der seinen eigentlichen Fantasien Ausdruck gibt? Man weiß das bei ihm nie so genau. Einerseits ist er der Softie im Genre, der seine Verletzlichkeit gern mal zur Schau stellt. Andererseits bedient Drake sich bei einigen seiner Videos, man denke an seinen Durchbruchshit „Hotline Bling“, doch wieder des üblichen Bildsprachenrepertoires mit lasziv um ihn herum tanzenden sexy jungen Frauen.
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„Honestly, Nevermind“ ist denn vor allem bezüglich der Sounds überzeugend. Tatsächlich gibt es nur am Schluss ein klassisches Rapstück, das den einzigen Gast dieses Albums mit an Bord hat, den US-Rapper 21 Savage. Mit diesem zusammen betrauert Drake den kürzlich verstorbenen Rap-Newcomer Lil Keed.
Süchtig machende Hits
Allerdings muss man sich zwischendrin immer mal wieder, trotz der angenehm kurzen Spielzeit und nur 14 Stücken, auf zarte Langeweile einstellen, was sich vor allem der mitunter weinerlichen Dezenz in Drakes Stimme verdankt. Drake ist nicht nur bekannt dafür, unnachahmliche, süchtig machende Hits zu produzieren, von „One Dance“ bis „Passion Fruit“, sondern auch unwahrscheinlich viel selbstverliebtes Rapsongmittelmaß.
Trotzdem: Auf „Honestly, Nevermind“ lassen Stücke wie eben „Falling Back“, „Texts Go Green“ mit seinen karibischen Einsprengseln, das kantige „Massive“ oder das mit einem Flamenco-Hauch versehene, ebenfalls schön House-klöppelnde „Tie That Binds“ Lethargie gar nicht erst groß aufkommen. Im Grunde müsste man Drake nur bestärken darin, diese Offenheit musikalisch noch weiter auszudehnen, auch wenn er, wie man hört, nach dieser Veröffentlichung einiges an Häme aus seiner Fan-Gemeinde hat über sich ergehen lassen müssen.
Doch Drake firmiert sowieso schon länger eher als massentauglicher Pop- und weniger als Rapstar only. „Honestly, Nevermind“ ist also weniger mit Puff Daddys Burn-Out-Album „Forever“ zu vergleichen, sondern mehr mit Kanye Wests ebenfalls dancelastigem „808s & Heartbreak“. Ein Befreiungsschlag.