Aus dem Osten was Neues: Ganz schön stark

Diese Ausstellung müsste eigentlich in der Nationalgalerie gezeigt werden. Denn dort gehören sie hin, diese 50 Frauen mit Ost-Background, die Kuratorin Andrea Pichl ausgewählt hat. Nun hängen sie in den verwinkelten, schwer zu bespielenden Räumen vom Künstlerhaus Bethanien. Immerhin!

Da ist die Fotografin Helga Paris mit ihren unverstellten Schwarzweiß-Aufnahmen junger Menschen, ganz im Moment und doch weit weg. Mehr als 30 Jahre jünger ist Ricarda Roggan, auch sie eine Meisterin des Lichtbilds. Die Grande Dame des Typewriting, Ruth Wolf-Rehfeldt, brilliert wie immer im winzigen Papierformat. Videokünstlerin Yvon Chabrowski, gebürtig in Ostberlin, lockt einen mit ihrer Technoskulptur klaustrophob ins Eck. Inken Reinert dagegen türmt DDR-Typenmöbel als vertrackte Skulptur bis unter die Decke.

Bildnis von Beate Zschäpe

Auch Else Gabriel, erst jüngst von der Performance zur Malerei übergewechselt, ist präsent. Sie war in den 1980ern unter den aufmüpfigen Dresdener Autoperforationsartisten die einzige Frau. Jetzt zeigt sie ein Bildnis von Beate Zschäpe. Auf dem mit breitem Pinsel furios durchgearbeiteten Kleinformat zeichnet sich eine unbehaglich zerquälte Visage ab. „Frauen sind auch Biester und Scheusale“, meint die Künstlerin.

Gleich gegenüber hängt Treuhandchefin Birgit Breuel, nachdenklich in realistischem Malstil verewigt. Im Hintergrund demonstriert die Belegschaft vor dem besetzten Kaliwerks Thomas Müntzer, gemalt von der Leipziger Künstlerin Susanne Rische 2019 für eine Installation von Henrike Naumann.

Uff. So viel geballte Frauenpower. Tatsächlich wollte Pichl zunächst nur wenige Positionen zeigen. Aber dann entschied sie: „Es müssen viele sein. Denn die Künstlerinnen aus der DDR sind so selten gezeigt worden.“ Pichl hat nachgezählt in den Katalogen und Überblicksausstellungen seit der Nachwendezeit. Mal waren es 23 Prozent, mal nur 14 Prozent oder weniger: Wo immer die Ostkunst retrospektiv beleuchtet wurde, blieb der Frauenanteil unterbelichtet.

Sie verschwanden einfach aus der Geschichtsschreibung. Das nervte Pichl. Es bedeutete ja eine doppelte strukturelle Ausgrenzung. Denn ohnehin sahen sich Kreative aus der DDR im Westkunstbetrieb vielfach mit Ignoranz gestraft. Nur zehn Professorinnen mit Ostbiografie lehren derzeit an den 22 staatlichen Kunsthochschulen Deutschlands.

Pichl selbst ist eigentlich Künstlerin. Geboren in Haldensleben, konnte sie aufgrund von Stasi-Repressionen erst nach der Wende studieren. Regimekonforme oder staatstragende Positionen kommen in ihrer Ausstellung nicht vor. Tatsächlich geht es hier nicht um einen retrospektiven Blick auf Vergangenes. Alle gezeigten Künstlerinnen leben noch. Und sie fordern ihren gerechten Teil Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Kunstbetrieb ein.

Das Gros der Arbeiten entstand in jüngster Zeit. Leider bildet der als Reader konzipierte Katalog sie nicht ab, listet sie nicht einmal auf: ein echtes Manko, auch mit Blick auf das kulturelle Gedächtnis nach Ende der Schau. Der Ausstellungstitel „Worin unsere Stärke besteht“ ist einem Brechtschen Arbeiterlied entlehnt. Vielen der beteiligten Frauen klingt es sicher noch in den Ohren. Aber keine hatte etwas dagegen. Brechts Text zielt auf die Solidarität als einende Kraft.

Regimetreue Mitläuferkultur

Tatsächlich gab es in der so genannten zweiten Öffentlichkeit der DDR, jenseits der regimetreuen Mitläuferkultur, rege Frauennetzwerke. Sie leben bis heute. Aber sie reichten und reichen eben nicht bis in die Museen, Galerien, Institutionen und Akademien hinein. Ausgeschlossen waren die Frauen aus dem DDR-Kunstbetrieb nicht, zumal der Staat sich die völlige Gleichstellung der Geschlechter propagandistisch auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Schranken waren subtiler. Offensive Strategien zur Selbstdarstellung und Durchsetzung, wie man sie auch später im Westen brauchte, lernten die Künstlerinnen im Osten nicht. „Wir wurden nicht dazu erzogen, uns selbst zu ermächtigen,“ meint Tina Bara bei einem Besuch der Ausstellung. Mittlerweile hat sie eine Fotografie-Professur in Leipzig.

Im Entree der Ausstellung wippt auf einem Bildschirm ein fröhlich knallrotes Stehaufmännchen mit nervtötendem Geklimper hin und her. Lisa Junghanß 2014 entstandenes Video-Psychogramm verursacht einem Drehschwindel: mittels labiler Kamera geht es durch die Gänge, Zellen und Amtsstuben im Knast Hohenschönhausen, immer einer adretten Serviererin hinterher. Von anderen Narben und Ausgrenzungen erzählen Ebola-Erkrankte auf den dokumentarisch nüchternen Plakatarbeiten von Manuela Warstat. Die in Greifswald geborene Künstlerin studierte in den 90er Jahren in Berlin-Weißensee. Dort gab die Kunstwissenschaftlerin Hildtrud Ebert ihren Studentinnen feministisches Rüstzeug, machte sie etwa mit Valie Export oder Orlan bekannt, bevor sie geschasst wurde.

Raum für Raum wird gemixt

Subtil bringt die Ausstellung drei Generationen in einen unmittelbaren Dialog, Raum für Raum wird gemixt. Da die Label nicht direkt neben den Arbeiten hängen, geht ein Suchspiel los. Wer ist hier für was verantwortlich? Die abstrakten Styroporgebilde der mittlerweile über 80-jährigen Erika Stürmer-Alex blicken gelassen auf die ephemeren Plastiken, die Christina Kral aus Betonbruchstücken, Alltagskram, Schnur und Plastikschrott bastelt. „Gewöhne dich nicht daran“ gibt eine helle überstrichene Leinwandarbeit der jungen Sophie Reinhold in Riesenbuchstaben zu bedenken. Alles nur vorläufig? Viele <NO1>der ausgestellten<NO>Arbeiten peilen zurück, halten verschwundene Orte fest, suchen Kontakt mit Erinnerungen.

Jana Müller hat sich dazu mit ihrem Vater zusammengetan. Er war Kriminalist in der DDR, die ja offiziell kein Verbrechen kannte. In einem wachsenden Archiv sichtet die Künstlerin seine Erinnerungen und Realien: die makellose Uniformjacke, fotografierte Tatorte, handschriftliche Notizen. Alles wird sichergestellt wie Indizien. Andere Künstlerinnen knöpften sich die Phrasen der Wehrerziehung vor, die auch Mädchen durchlaufen mussten, oder FDGB-Parteibücher. Ein verschwundenes Land hat diese Künstlerinnen geprägt, auch die, deren Leben erst wenige Jahre vor dem Mauerfall begann. Verwisch die Spuren oder dokumentiere sie.

Zum Glück ließ Gabriele Stötzer aus Erfurt schon damals 1988 die Super 8-Kamera mitlaufen. Für ihre legendäre Arbeit „Veitstanz / Feixtanz“ schlenkerten wechselnde Protagonist:innen bis zur Erschöpfung wild mit Armen und Beinen, in individuellem Furor: eine Pionierarbeit der Performance in der DDR, wo es diese Kunstform offiziell gar nicht gab. Die Künstlerin selbst hatte im Knast gesessen.

Anlässlich einer Podiumsdiskussion ist der Ausstellungsraum auf einmal voll mit Künstlerinnen. Tina Bara, die Fotografin, ist gekommen und auch die energische Karla Woisnitza. Else Gabriel sitzt auf dem Podium mit Kuratorin Andrea Pichl. Ihre Lebenswege, ihre Kunstwerke könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber die harte Erfahrung der Umbrüche haben alle erlebt und verarbeitet, das Wegbrechen des Vertrauten. Viele teilen die Kränkung durch mangelnde Resonanz auf ihre Arbeit. An diesem Abend ist man fast unter sich. “Unsere Stärke”, sagt Gabriel; “ist doch: wir haben zwei ganz unterschiedliche Systeme erlebt. Wir können verschiedene Perspektiven einnehmen. Das ist doch ein Potenzial.”

Die DDR-Prägung ist, neben dem künstlerischen Standing, tatsächlich das einzige, was all die ausgestellten Künstlerinnen eint. Reicht das als gemeinsamer Nenner? Führt eine solche feministische Nischenschau nicht doch wieder in die Selbstmarginalisierung?

Im Gegenteil: Vielleicht ist diese längst überfällige und tolle Schau der Anfang vom Ende einer Ignoranz des westlichen Kunstbetriebs, die hier schmerzhaft offensichtlich wird.

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