Zwei Jahre Covid, nichts dazugelernt
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter.
Zwischen zwei positiven Covid-Tests erlebte ich in drei Tagen sieben negative, inklusive eines negativen PCR-Tests, doch weil mit dem zweiten positiven Test die Halsschmerzen und die Atemnot kamen, verabschiedete ich mich in die Quarantäne. In einer Statistik tauche ich nicht auf, und das Gesundheitsamt rührt sich nicht, der PCR-Test war ja negativ. Ist so der Zustand unseres Landes? Wie mein privates Pandemieleben?
Wir alle hätten, wenn schon die politische Kommunikation wirr und widersprüchlich ist, eine eindeutige Medizin verdient. Doch wissenschaftliche Klarheit ist in der Pandemie nicht zu haben: Das Virus fordert uns, wir sind kein bisschen eindeutig – unklar auf allen Ebenen.
Mein Freund C. ist zu Besuch. Aufmerksame Leserinnen und Leser kennen C., der Chirurg in Manhattan ist und im Tagesspiegel mehrfach auftrat, weil er sich freiwillig für den Einsatz auf der Intensivstation gemeldet hatte, als New York das Weltkrisenzentrum war. Und weil er uns von jenen Menschen erzählte, die ihm unter den Händen wegstarben, Menschen, deren Namen auf den übervollen Gängen der Intensivstation niemand notiert hatte, keine Zeit. Und darum erfuhren die Angehörigen nichts.
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Handlungsunfähig durch die Polarisierung
C. ist von New York nach Berlin geflogen, kam per Leihwagen nach Leipzig. Es ist eine Reise wie vor Covid, damals, was für ein Glück ist ein Freund, der sagt: „Wir haben uns 18 Monate lang nicht gesehen, das geht nicht.“ Wir segeln über den eisigen Cospudener See, C. erzählt von New York. Dass derzeit 100 Prozent der Toten und 100 Prozent der Patienten ungeimpft seien. Dass er nach zwei Jahren Pandemie das Gerede dieser Patienten leid sei, dieses „Ich bin noch nicht bereit für die Impfung“. Und wie leid er es sei, wie selbstverständlich sie Behandlung und deren Finanzierung erwarteten, „obwohl ihre eigene Entscheidung sie zu uns bringt“.
Amerika sei handlungsunfähig durch seine Polarisierung, sagt er, gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht mehr zu haben in einem Land, das wegen Masken am liebsten den nächsten Bürgerkrieg führen würde. Die Inzidenz und die meisten anderen Statistiken seien nicht wichtig, weil unscharf und zufällig, denn wer meldet sich nach positivem Schnelltest noch irgendwo und geht dann in Quarantäne?
Covid wiederum sei für Geimpfte meist auszuhalten, „wir können damit leben wie mit der Grippe“. Es gibt schlimmere Viren, also gehe es heute darum: impfen und mit Covid leben.
Ich erzähle von Deutschland und schäme mich: Vor 18 Monaten hatte ich von Solidarität und Eindeutigkeit geschwärmt. Nun berichte ich von 25 Prozent Nichtgeimpften und von Politikern, die a) heute alle Regeln auslaufen lassen, aber b) morgen eine Impfpflicht beschließen wollen, längst wissend, dass wegen a) der Rückhalt für b) nicht mehr gegeben sein wird, weshalb wir c) die nächsten Wellen bald erleben werden. Während der Delta-Welle hätte es die Impfpflicht geben können, in Deutschland und in Amerika. Dann wären wir heute weiter. Einer von all den Fehlern, hier wie dort.
C. leidet auch an den Medien. „Warum fokussiert ihr euch so auf die angebliche Inzidenz? Wichtig ist, wie viele Menschen sterben und wie voll die Intensivstationen sind; nur das ist relevant, nach diesen Zahlen können Städte und Regionen ihre Regeln ausrichten. Sagt und schreibt bitte auf, wie viele Ungeimpfte jeweils darunter sind.“ C. war auch schon erkrankt. Ist es zu windig für den Gennaker? Ja. Wir setzen ihn trotzdem, gleiten dahin. „Ich will wieder leben, solange ich lebendig bin“, sagt C.