Birgit Klebers Bilder vom Mauerfall: Mit dem Farbfilm zur Sonnenallee
Die Farbfotos, mit denen die frühere Tagesspiegel-Fotografin Birgit Kleber die Öffnung des Grenzübergangs Sonnenallee festhielt, sind zugleich eine Rarität. Kleber wählt ungewöhnliche Perspektiven, fängt auch den Ansturm von Menschen auf Unbekanntes und offenbar Ersehntes ein – etwa auf einen Beate Uhse-Shop.
Das Leben ist eine Folge von Zufällen, die sich in einem Rahmen ereignen, der von außen bestimmt ist. Gleich in mehrfacher Hinsicht trifft dies auf Birgit Klebers Fotoserie „The Wall“ zu. Denn zunächst war es Zufall, dass die Westberliner Fotografin am Rande einer Ausstellungseröffnung im Haus am Kleistpark überhaupt von der Maueröffnung hörte. Schnell fuhr sie nach Hause, holte ihre Kamera. Dass in der noch ein Farbfilm steckte, war ihr nicht bewusst. Erst später stellte sie fest, dass ihre ersten sieben Fotos vom Mauerfall Farbfotos waren.
Den Farbfilm vergessen
Ein Trabant ist darauf zu sehen, wie er den frisch geöffneten Grenzübergang Sonnenallee passiert. Menschen stehen auf und neben der Mauer, die dort nur eine mit Wellblech verkleidete Wand ist. Ein Mann zeigt das Transparent „Egon, weg mit dem Beton“. Bettlaken wurden offenbar auch in jener denkwürdigen Nacht schnell beschriftet.
Die sieben Farbfotos sind auf fingerdicke Plastikscheiben aufgebracht. Das verleiht ihnen eine räumliche Wirkung. Blickt man von der Seite in die Scheiben, scheint man förmlich einzutauchen ins Geschehen – ein Immersionseffekt nebenbei.
Die Fotos befinden sich im Projektraum Alte Feuerwache auf einer vergrößerten Ansicht von Betonplatten. Auch dabei handelt es sich um ein Mauerbild. Kleber nahm es im Jahr zuvor auf der Westseite auf. Auch hier war der Zufall im Spiel. Die Fotografin Gisèle Freund hatte gerade eine Ausstellung und wollte ein Foto von sich an der Mauer. Kleber sollte es machen. Im Zuge der Recherche nach dem passenden Ort entstand das Bild.
Willy Brandt vor der Linse
Nachdem in der Nacht des 9. November 1989 der Farbfilm verschossen war, legte Kleber einen Schwarz-Weiß-Film ein. Mit ihm war sie am Morgen danach Zeugin, als viele Menschen auf die Mauerbrüstung am Brandenburger Tor kletterten. Sie fing die TV-Korrespondenten ein, die sich vor den Kameras aufbauten, war auch dabei, als Willy Brandt auftauchte, der frühere Regierende Bürgermeister Berlins und Ex-Kanzler, der ganz unverhofft sein Lebenswerk gekrönt sah.
Kleber, damals am Boden hockend und nur durch eine Bewegung in ihrem Rücken bemerkend, dass sich hinter ihr etwas Besonderes ereignete, drehte sich um und erwischte Brandt aus der Froschperspektive. Wie ein Pfeil leitet ein Mikrofonstativ den Blick zum Gesicht. Im Moment des Auslösens störte Kleber die Metallstange, erzählt sie dem Tagesspiegel. Aber jetzt, Jahrzehnte später, wirkt es wie konzeptuell arrangiert.
Fotos aus den Tagen und Wochen danach zeigen den gespenstisch leer wirkenden Potsdamer Platz. Mauerdurchbrüche geben Sicht auf das Dahinter frei. Ausgangspunkt für einen Roman könnte das Bild einer jungen Frau mit Kinderwagen sein, sie steht etwas abseits neben der Schlange vor einem Beate-Uhse-Shop. Traut sie sich nicht rein? Wartet sie auf ihren Partner oder auf eine Freundin, die ihr vielleicht etwas mitbringt?
Schlusspunkt ist die Fassade des Palasts der Republik, aus der im Juni 1990, einen Tag vor der Währungsunion, schon das Emblem der DDR entfernt worden war.
„The Wall“ führt zurück in die ersten Wendetage und -wochen. Die Fotos verströmen jene Aura des Neuen, des kaum Fassbaren und Überraschenden, mit Spuren von Sorge und Angst Verbundenen, die damals so typisch war – und die mit dem Tonfall des Selbstgerechten, der die Gegenwart beherrscht, so wenig gemein hat. „The Wall“ erinnert an die kostbaren Momente des Offenen, Hoffenden und Fragenden.