Verhunzte Europacity?: Der historische Getreidespeicher ist ein architektonischer Lichtblick

Ein missratenes Stück Städtebau, so wird die Europacity rings um den Hauptbahnhof und besonders das Quartier entlang der Heidestraße auch über Berlin hinaus beurteilt, als eine auf höchst ärgerliche Weise vertane Chance. Auf 22 Hektar Fläche hätte man nördlich des Hauptbahnhofs ein urbanes, quirliges Stück Stadt gänzlich neu kreieren können. Stattdessen Großblocks, serielle Ödnis, tote Erdgeschosse, uninspirierte Stadträume.

Es wundert also niemanden, wenn der einzige Lichtblick ein historisches Gebäude ist, das letzte Überbleibsel auf dem Areal des ehemaligen „Hamburg und Lehrter Güterbahnhofs“ (sieht man von den Rieckhallen am Südrand ab). Der Getreidespeicher am Ufer des Spandauer Schifffahrtskanals ist zwar auch ein blockhafter Sechsgeschosser, aber er hat Charakter und Aura.

Zeugnis des einstigen Güterbahnhofs

Er ist einsamer Zeuge einer vergangenen Epoche, so allein, dass er eigentlich nicht in der Lage ist, eine Vorstellung vom lärmenden, rußenden Güterbahnhofsbetrieb aufkommen zu lassen. Aber da stand er nun mal, natürlich unter Denkmalschutz, und warf die Frage auf, was man mit ihm anstellen könnte.

Eine interessante Geschichte hat er zu erzählen. Zunächst entstand 1896/97 der südliche Bauteil als „Kornversuchsspeicher“, denn er diente der Erprobung von Möglichkeiten der Getreidelagerung, die man sich in den USA abgeschaut hatte. Die Segmentbogenfenster, die Lisenen und Friese reflektieren noch die historistischen Formen der Backsteinbaukunst der Berliner Schule.

Knapp zwanzig Jahre später dämmerte bereits die Moderne herauf. Der Bauteil 2, ein Erweiterungsbau mit zwei Achsen, wurde als Stahlbetonskelett mit Ziegelausfachung errichtet und blieb völlig schmucklos. Bei der Gelegenheit ersetzte man auch gleich die innere Holzkonstruktion des Bauteils 1 durch Beton.

Schlechter Bauzustand, aufwändige Sanierung

Stahlbetonbau steckte damals in den Kinderschuhen. Es war also ein kühnes Experiment, die Schüttböden und Trichterspeicherdecken aus diesem Material herzustellen. Die Betontrichter, mit denen das Getreide von den Versuchslagerpositionen jeweils einen Stock tiefer verbracht werden konnte, sind das charakteristische Merkmal des Gebäudes und natürlich im Fokus der Denkmalpfleger.

Verschleiß durch langen Leerstand und Bewitterung, das Behelfsdach aus Nachkriegstagen und die zum Teil dürftige Betonqualität machten den mit der Sanierung beauftragten AFF Architekten zu schaffen. Das Betonskelett musste aufwändig saniert werden. Manche der Betontrichterkegel mussten nachgeschalt und vergossen werden. Doch es hat sich gelohnt, besonders eindrucksvoll zu sehen in der Eingangshalle.

Dachgeschoss mit Terrassen

Das Behelfsdach ersetzten die Architekten durch ein mit Ziegeln aufgemauertes Dachgeschoss mit Terrassen an den Längsseiten. Ein neuer Erschließungskern mit Treppen und Aufzug zwischen den Bauteilen 1 und 2 erlaubt die Erfüllung der Sicherheitsvorschriften. Die schmale historische Treppe dient nur noch als Fluchtweg,

Hohe Räume mit Loftcharakter. Allerdings auch monströse Lüftungsanlagen, die für die Büronutzung erforderlich sind.
Hohe Räume mit Loftcharakter. Allerdings auch monströse Lüftungsanlagen, die für die Büronutzung erforderlich sind.
© Tjark Spille

Um brauchbare Raumhöhen zu gewinnen, durfte am Bauteil 2 jede zweite Decke herausgenommen werden, ebenso ein Teil der Backsteinausfachungen, die durch großflächige Fenster oder Balkone ersetzt wurden. Es entstanden wunderbare Innenräume mit Galerien und mit Loftcharakter, wie geschaffen zum Wohnen – doch es wurden Büros draus.

Es heißt, die Denkmalpfleger seien sehr kompromissbereit gewesen. Nicht wirklich nachvollziehbar ist allerdings die strikte Weigerung des Landesdenkmalamtes, eine Wohnnutzung zuzulassen. Der Hallencharakter der Lagergeschosse solle erhalten bleiben. Das wäre auch mit den beliebten Lofts möglich.

Dass andererseits die Büronutzung monströse Lüftungsanlagen erforderlich macht, deren Schächte und Deckenkanäle den Raumeindruck weit nachhaltiger beeinträchtigen, hat sich dann aus Gründen der Bauvorschriften ergeben und muss nun in Kauf genommen werden.

Wohnlofts wurden nicht zugelassen, stattdessen Büros

So trifft das Projekt zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung auf einen gesättigten Büromarkt, der vor allem die etwas höheren Mieten für die extravaganten, aber auch teurer errichteten Büroräume nicht hergibt. Exklusive Appartements hingegen, interessante, zum Teil doppelgeschossige Lofts mit historischem Industriecharakter, würden nicht lange leer stehen. Und wer sich die Räume im neuen Dachgeschoss mit den langen Terrassen ansieht, der denkt an privilegierte Wohnungen, nicht an ein Restaurant, das aus Kostengründen nun doch nicht kommt.

Ein Denkmalamt ist keineswegs gehalten, unter Hintanstellung von Denkmalbelangen profitorientierte Nutzung von Kulturdenkmalen zu ermöglichen. In diesem Fall ist seine Haltung jedoch fragwürdig und kujoniert unnötigerweise einen Investor, der bei der Erhaltung und Sanierung des schwierigen Denkmals Fantasie entwickelt und viel auf sich genommen hat. Kein positives Signal für noch ausstehende andere Sanierungsfälle.