Thriller „Paradise“ bei Netflix: Iris Berben würde gern noch ein paar Hundert Jahre leben
Ein langes Leben um jeden Preis: Im Thriller „Paradise“ treibt ein Pharmakonzern fragwürdige Milliardengeschäfte mit dem Wunsch nach ewiger Jugend. Im Mittelpunkt stehen zwei starke Frauencharaktere. Gewohnt souverän und stark Iris Berben als Unternehmerin Sophie Theissen. An ihrer Seite überzeugt Marlene Tanczik als junge Frau, die aus Finanznot 38 Lebensjahre verkaufen muss und über Nacht altert.
Im Doppelinterview sprechen die beiden Schauspielerinnen über den düsteren Science-Fiction-Film, der seit dem 27. Juli beim Streamingdienst Netflix zu sehen ist.
Dieser Film zeichnet eine düstere Zukunftsvision.
Berben: Der Film beschreibt – überspitzt – etwas, was seit Jahrhunderten und auch jetzt passiert, nämlich dass der Wohlstand auf Kosten derer geht, die sich diesen Lebensstil nicht leisten können. Es geht um Ausbeutung von Menschen und von Situationen.
Tanczik: Zum Glück gibt es das nicht, dass man wirklich Lebenszeit von anderen Menschen kaufen kann. Ich hoffe auch, dass uns das in der Zukunft erspart bleibt, weil damit ziemlich große Gefahren einhergehen. Wie weit sind Menschen bereit zu gehen für die ewige Jugend? Die Faszination an der Jugend ist groß und es wird ja schon an verjüngenden Technologien geforscht. Damit kann viel Missbrauch getrieben werden.
Berben: Allein wenn wir daran denken, welche kriminelle Energien beim Thema Organspende freigesetzt werden. Wie Menschen ausgebeutet werden, Kinder gestohlen werden. Also: Der Film ist eine Dystopie. Aber es ist eine große moralische Frage, die wir da stellen.
Haben Sie manchmal Angst um diese Gesellschaft?
Berben: Angst habe ich nicht. Ich glaube, die große Herausforderung ist, die Menschen, die überfordert sind, die Angst und keine Möglichkeiten haben, bei Veränderungen mitzuziehen. Wir sehen gerade viele Katastrophen und Gewalt – das hat es ja selten gegeben, dass die in einem so geballten Zustand in so einer Nähe stattfinden – und das macht vielen Leuten Angst. Man muss sehr wachsam bleiben. Wenn ich mir Zahlen anhöre, wie viele Menschen die Demokratie nicht mehr als eine Staatsform sehen, die es zu verteidigen gilt – das macht mir schon Sorgen. Aber wenn wir in der Weltgeschichte zurückgehen, sehen wir: Wir haben immer vor Herausforderungen gestanden.
Sie bleiben also zuversichtlich?
Berben: Ich glaube nicht, dass es momentan besser wird, und es wird sicher für viele Menschen noch schwieriger werden. Aber auch damit wird die Menschheit fertig werden. Ich bin nicht hoffnungslos, überhaupt nicht. Ich lebe gerne – auch mit diesen Herausforderungen. Hoffnungslos darf man nicht werden, das wäre Resignation. Die haben wir nicht, wir stemmen uns dagegen. Das habe ich schon in den 60ern gelernt.
Gibt es Situationen, in denen Sie sich wünschen, Sie könnten die Zeit zurückdrehen?
Berben: Was man unterscheiden muss, ist der Wunsch, wieder jung zu werden, und der Wunsch, länger am Leben zu bleiben, also mehr Lebenszeit zu haben. Das würde ich mir auch wünschen. Ich würde mir wünschen, es würde noch ein paar Hundert Jahre bei mir weitergehen, weil ich Lust habe zu leben. Aber es ist eine andere Geschichte, sich verjüngen zu wollen. Da erzählt dieser Film viel über unsere Zeit, in der ganz stark – vor allem in den sozialen Medien – vorgegeben wird, wie man auszusehen hat und in welchen Kreisen man andocken sollte. Diese düstere Prognose, die leben wir schon, finde ich.
Also eher mal die Zeit anhalten als zurückdrehen?
Berben: Ich war es immer gewohnt, eine Haltung haben zu wollen. Es gab immer Fragen, wo du dich positionieren musstest im Leben. Das hat damit zu tun, aus welcher Zeit ich komme. In den 60ern ist so vieles in Frage gestellt worden. Da hat man versucht, ein anderes Deutschland, eine andere Welt zu schaffen. Das hat mich nie mehr verlassen. Aber die Momente tun schon gut, sich mal zurücklehnen zu können und zu sagen: „Es ist gelungen und gut gegangen. Das können wir einfach mal leben.“ Im Moment habe ich das Gefühl, dass man das, was man erreichen will, gar nicht mehr lebt. Ich denke, den Wunsch, sich mal kurz anzulehnen und zu genießen, haben wir alle. Im Moment lässt man uns nur wenig Zeit dafür. Aber ja, ein Durchatmen wäre mal ganz gut.
Tanczik: Die Zeit zurückdrehen möchte ich nicht, ich fühle mich eigentlich gerade mit jedem Jahr besser. Ich bin dieses Jahr 30 geworden und es war richtig toll. Ich glaube, dass ich immer selbstsicherer und selbstbestimmter werde. Das möchte ich mir um keinen Preis nehmen lassen und wieder 21 sein.
Macht es besonderen Spaß, diese eiskalte Figur zu spielen?
Berben: Na klar. Alles, was weit weg ist von einem selber, macht Freude. Und dass es eben nicht mit einem Mann besetzt war, fand ich spannend. Machtmissbrauch ist zwar viel verbreiteter bei Männern, aber eben auch bei Frauen. Das dann auch auf eine subtile Weise zu machen, dass man dieses Imperium mit einer Ethik erklärt, dass es ja eigentlich für die Welt von Nutzen ist. Das macht es dann vielschichtiger, als nur eine negative Person zu spielen. Ute Wessels, dpa