Uraufführung an der Deutschen Oper: „Immmermeeehr“ verhandelt die Nöte von Kindern
Die ersten Töne des Ensembles der Deutschen Oper erklingen, das Horn erzeugt einen Flatterlaut, der einem Weckerklingeln ähnelt und die Sänger*innen des Kinderchors erheben sich auf der Bühne – der Start in den Tag beginnt mit Stress.
„Aufstehen, Zähneputzen und dann los, viel zu spät, viel zu spät“ heißt es in Gordon Kampes Komposition, in der der Kinderchor die Hauptrolle spielt und es um die Sorgen von Kindern geht. Schon auf dem Weg zur Schule gibt es Hindernisse: Der Bus ist überfüllt, sie müssen stehen, bekommen Rucksäcke ins Gesicht.
Ein Lehrer mit wilder Einstein-Frisur tritt auf und verteilt korrigierte Klausuren, auch ans Publikum. Die erste Solistin aus dem Kinderchor tritt hervor und singt fragend: „Warum habe ich eine Vier bekommen? Ich habe alle Fragen richtig beantwortet.“ Der Lehrer entgegnet: „Du hast die Zeilenangaben vergessen.“ Schadenfroh stimmt der Chor ein: „Das müsstest du wissen.“
Unfaire Noten, Druck durch gestresste Lehrer
Zu Hause trifft der zweite Protagonist Kalli auf überforderte Eltern, die ihn anschreien. Zeilen wie „Hau ab und hör auf zu nerven“ entfalten gesungen eine eindringliche Wirkung. Kallis verzweifelter Ausruf „Es wäre besser, ich wäre gar nicht da“ berührt umso mehr, da das Libretto von Maria Milisavljević in enger Zusammenarbeit mit Kindern aus dem Chor und der Schulklasse 6c der Brüder-Grimm-Grundschule aus Berlin-Wedding entstanden ist.
Die Geschichte mit der schlechten Note etwa wurde von den Kindern geschrieben. Andere haben eine Szene über Fluchterfahrungen beigetragen. „Wir haben gemerkt, welche Kräfte auf Kinder einwirken: Einerseits Leistungsdruck und dann der Umgang in der Welt, die auseinanderzufallen droht. Wir wollten einen Text schreiben, der das einfängt“, erzählt Maria Milisavljević.
Gordon Kampes Musik ist anspruchsvoll für die jungen Sänger*innen. Dirigent Christian Lindhorst führt sie souverän durch die Uraufführung, unterstützt von einem Bildschirm im Saal, der sein Dirigat und seine deutlichen Mundbewegungen für die Texteinsätze überträgt. Die Musik ist bildhaft: Ein Horn ahmt das Weckerklingeln nach und ein Bogen auf einer Säge imitiert das Quietschen von Kreide in der Schule.
Nach einem stressigen Tag voller Probleme flüchten drei Kinder in eine Traumwelt ohne Sorgen. Ein Reigen beginnt, die Kinder tanzen, doch die Idylle wird von zwei dunklen Gestalten zerstört. Sie bringen die Dunkelheit in die Welt ohne Sorgen. Erst durch das Überwinden ihrer Ängste und die Erkenntnis, dass sie nicht allein sind, finden sie Hoffnung. „Aber ich bin nicht allein, und mein Kopf wird weit, und mein Kopf wird ruhig“, singt der Kinderchor. „Es ist okay. Es ist okay.“