„Olfas Töchter“ im Kino: Im Schoß der Wölfin
Ob sie selber vielleicht wie die Figur Rose aus „Titanic“ sei, will Olfa Hamrouni am Anfang des Interviews lachend von der Regisseurin Kaouther Ben Hania wissen. Die würde in James Camerons Blockbuster-Schmonzette schließlich auch ihre eigene Geschichte erzählen. Mit dieser Frage legt der Dokumentarfilm-Hybrid „Olfas Töchter“ gleich zu Beginn seine Methodik offen. Dass sich die vierfache tunesische Mutter mit der Rolle eines britischen Filmstars identifiziert, kommt nicht von ungefähr.
Kaouther Ben Hania verfügt vor der Kamera tatsächlich über Starqualitäten, auch wenn die Regisseurin sie meist nur in Talking-Head-Einstellungen filmt. Das Experiment „Olfas Töchter“ steht und fällt in gewisser Weise mit ihrer Leinwandpräsenz – und der ihrer zwei jüngsten Töchter Eya und Tayssir, beide Anfang Zwanzig.
Gefressen von Wölfen
Kaouther Ben Hania, die 2021 mit ihrem Drama „Der Mann, der seine Haut verkaufte“ für den Oscar nominiert war, hat die Rolle von Hamrouni darüber hinaus mit der tunesischen Darstellerin Hind Sabr besetzt, einer der bekanntesten arabischen Filmstars. Sie springt für Olfa ein, sollte das Gespräch für die Mutter zu emotional werden. Denn der Film über ihre Töchter dreht sich um einen traumatischen Kern, den Ben Hania Stück für Stück freilegt.
Die beiden ältesten Schwestern Rahma und Ghofrane sind bei der Rekonstruktion dieser Familiengeschichte nicht dabei, auch sie werden von Darstellerinnen – Nour Karoui und Ichraq Matar – gespielt. Rahma und Ghofrane wurden „von Wölfen gefressen“, erklärt die Regisseurin zu Beginn kryptisch. Am Ende ist zumindest nicht ganz auszuschließen, dass es sich auch um eine Wölfin gehandelt haben könnte.
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Dass alle Frauen in „Olfas Töchter“ unglaublich fotogen und glamourös aussehen, ist gewissermaßen die Voraussetzung für Ben Hanias Methode, die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentarfilm zu verwischen. Die Regisseurin filmt die Frauen „beim Make-up“ und in Screentests, manchmal ist die Klappe im Bild, oder die Kamera läuft schon bei den Vorgesprächen.
Ben Hania interagiert immer wieder auch selbst mit der Mutter. Diese Metaebene erweist sich für die Geschichte zwar nicht immer als schlüssig, aber sie erzeugt eine Spannungskurve, die dazu beiträgt, dass die filmischen Formen durchlässiger werden. Einmal steht Olfa vor einem Spiegel, in dem Hind Sabri zu sehen ist. Es geht sogar so weit, dass die Mutter ihrer Darstellerin gelegentlich Regieanweisungen gibt.
Re-Inszenierung eines Traumas
Das Setting ähnelt einer Familienaufstellung. In den Re-Enactments von gemeinsamen Szenen der Schwestern oder den Gewaltausbrüchen der Mutter bekommt „Olfas Töchter“ eine durchaus therapeutische Qualität. Immer wieder schiebt sich die Inszenierung wie ein emotionaler Schutzschild vor die Erinnerung. Einmal erzählt Olfa, dass sie lieber vier Söhne als ihre Töchter mit ihren „unreinen Körpern“ gehabt hätte. Als Retourkutsche sprechen Tayssir und Eya vor der Mutter über ihre Monatshygiene.
Als Deckerinnerung aber fungiert der Verlust der beiden ältesten Schwestern, die gegen die traditionelle Erziehung der Mutter sowie ihren späteren Lebensgefährten, der die Mädchen sexuell missbrauchte, rebellieren – und sich dem Koran zuwenden. Der Hijab ist zunächst nur ein modisches Accessoire wie die zerrissene Jeans von Tayssir. Aber irgendwann filmt die Kamera die vier Mädchen dabei, wie sie einen Exorzismus nachstellen. Kurz darauf waren Rahma und Ghofrane in Libyen verschwunden, wo sie 2016 in einem Isis-Ausbildungscamp gefasst wurden.
Olfas Scham, über die sie vor der Kamera spricht, hat ihre Ursachen in einem generationellen Trauma. Doch die Gewalt, die den Mädchen angetan wurde – durch ihre von einer frauenfeindlichen Gesellschaft geprägten Mutter und die Männer (die alle von dem Schauspieler Majd Mastoura verkörpert werden) –, reicht nicht aus, um die Radikalisierung von Rahma und Ghofrane zu verstehen.
Ihre Geschichten bleiben nur mittelbar in den Erinnerungen von Olfa, Eya und Tayssir, auch darin zeigt Kaouther Ben Hania die Grenzen der dokumentarischen Form auf. Doch anders als im konventionellen Dokudrama geht es in „Olfas Töchter“ nicht um die Visualisierung von Leerstellen; eher um die Unmöglichkeit einer letztgültigen Erkenntnis.
Das stellt kein Manko dar, der Prozess ist das eigentlich Interessante an „Olfas Töchter“. Erst als sich echte Nachrichtenbilder zwischen die Gespräche schieben – und am Ende auch noch ein Video mit Rahma und Ghofrane –, droht das Experiment fast noch zu scheitern.
Seine Stärken hat Kaouther Ben Hanias Film gerade im „Spiel“ der Frauen: wenn Olfa die Darstellerin von Rahma fragt, ob sie gerne eine Mutter wie sie gehabt hätte – und diese betreten schweigt. Oder als Sabri ihre Filmtöchter in Schutz nimmt und die Mutter wegen ihrer traditionellen Ansichten zurechtweist. Einmal erzählt Eya, dass sie ihre Mutter manchmal am liebsten erwürgt hätte. Und so scheint es am Ende, bei aller Tragik in der Geschichte von Olfa Hamrouni und ihren Töchtern, dass sie doch auch eine ziemlich normale Familie sind.