Yael Bartana und Ersan Mondtag bespielen den deutschen Pavillon in Venedig: Die Biennale rocken
Als Çağla Ilk im Herbst zum Talk auf der Berlin Art Week weilte, war der Kuratorin des deutschen Pavillons auf der Biennale di Venezia kein Wort über ihre Künstlerwahl zu entlocken. Ein Vierteljahr vor Eröffnung des wichtigsten internationalen Kunstevents am 20. April hat das Institut für Auslandsbeziehungen, das die Bespielung des Pavillons für das Auswärtige Amt betreut, endlich das Geheimnis gelüftet – und es ist ihm ein Coup gelungen.
Unter dem Titel „Thresholds“ werden Yael Bartana und Ersan Mondtag die Bundesrepublik in den Giardini vertreten, eine kraftvolle Wahl zweier Positionen, die eine von der Videokunst, der andere vom Theater kommend. Sofort mobilisiert sich eine Vorstellung davon, wie die beiden Künstler den Pavillon rocken könnten. Es dürfte krachen, aber auf eine konstruktive Art: nicht beckmesserisch mit erhobenem Zeigefinger, sondern als starker Eindruck, Irritation, wildes Denken, das gerade in Zeiten eines polarisierten Kulturbetriebs gebraucht wird, den Meinungsmacher und Bekenntnisträger dominieren.
2011 provozierte Yael Bartana im polnischen Pavillon
Für Yael Bartana ist es bereits der zweite Auftritt in den Giardini, nachdem die in Berlin und Amsterdam lebende Israelin 2011 den polnischen Pavillon mit einer umstrittenen Videoinstallation zum Anziehungspunkt der 54. Biennale di Venezia machte. In der Videotrilogie „And Europe Will Be Stunned“ stellte sie im Stil eines Propagandafilms das „Jewish Renaissance Movement“ vor, welches die Rückkehr von drei Millionen Jüdinnen und Juden nach Polen imaginierte. Mitten im Zentrum Warschaus entstand ein Kibbuz.
Nicht weniger provozierend war die Auftragsarbeit „Malka Germania“ für das Jüdische Museum Berlin vor zwei Jahren anlässlich ihrer Retrospektive „Redemption Now – Erlösung jetzt“. Ein androgyner Messias reitet auf seinem Esel in die Hauptstadt ein und gelangt schließlich zum Strandbad Wannsee, aus dem sich Albert Speers „Große Halle“ als rätselhafte Erscheinung aus dem Wasser erhebt.
Um Erlösung kreisen alle Arbeiten Yael Bartanas. 1970 in Afula in der Nähe der Golanhöhen geboren, begann sie sich während des Kunststudiums in Amsterdam mit ihrer Identität auseinanderzusetzen, jüdisch zu fühlen. Die „Amateur-Anthropologin“, wie sie sich selbst bezeichnet, agiert furchtlos aus, was im kollektiven Unterbewussten schlummert. Das kann zu Verstörungen beim Publikum führen, denn eine Einordnung der widersprüchlichen Botschaften dieser von Bartana „Pre-Enactment“ bezeichneten Methode fällt schwer.
Die beiden könnten den Nazi-Bau knacken
Doch genau damit könnte sie die Richtige sein, um den Nazi-Bau in den Giardini zu knacken. An ihm haben sich in all den Jahren immer wieder Künstler abgearbeitet, so dass man das Thema mittlerweile leid geworden ist. Aber 2024 ist alles anders. Seit dem 7. Oktober mit dem Terrorakt der Hamas und dem darauffolgenden israelischen Angriff auf den Gaza-Streifen ist für viele in Deutschland, zumal im Kulturbetrieb, für viele die Haltung zu Israel in Frage gestellt.
Angesichts von Kampagnen wie BDS und „Strike Germany“ stellt deshalb bereits die Berufung einer israelischen Künstlerin, die sich unerschrocken den Ambiguitäten deutsch-jüdischer Gegebenheiten stellt, ein wichtiges Statement dar.
Mit Ersan Mondtag (1987 geboren in West-Berlin und aufgewachsen in Neukölln) hat Yael Bartana ebenfalls einen Feuerwerker an ihrer Seite. Er gilt als einer der am meisten beachteten Nachwuchsregisseure der letzten Jahre, der für seinen furiosen Inszenierungen, aufregenden Dauerperformances 2016 von der Zeitschrift „Theater heute“ zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt wurde und Einladungen zum Berliner Theatertreffen erhielt.
Prompt wurde auch der Kunstbetrieb auf ihn aufmerksam, ein Jahr später machte das Frankfurter Museum der Moderne eine wilde Ausstellung mit ihm. Çağla Ilk – die heutige Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden war zuvor Dramaturgin am Berliner Gorki-Theater – kennt ihn ohnehin. Auch dort war er schon zu Gast.
Bartana und Mondtag scheinen die perfekte Ergänzung füreinander, zumindest für den deutschen Pavillon. Bartana wird „Möglichkeiten des zukünftigen Überlebens“ entwerfen, wie es in der Ankündigung heißt, Mondtag „Bewegung in starre nationale historiographische Konstrukte“ bringen. Der Ausstellungstitel „Threshold“ meint dabei die Gegenwart als „Schwelle zwischen Retrospektive und Projektion“. Das klingt alles noch sehr nebulös und soll sich thematisch mit der Biennale-Hauptausstellung „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“ (Fremde überall) treffen, die sich den Themen Migration, Exil und Erfahrungen der Fremdheit widmet.
Als leichteren Gegenpart zu dem wohl doch wieder unter der Historie lastenden deutschen Beitrag in den Giardini gibt es auf der Laguneninsel La Certosa „einen in der Natur beheimateten Resonanzraum“. Dort lassen Michael Akstaller, Nicole L’Hullier, Robert Lippok und Jan St. Werner, die sich als Musiker alle mit Klang beschäftigen, Töne aufsteigen. Erholsam wird vermutlich auch das nicht sein. Aber vielleicht hilfreich beim Schritt über die Schwelle.